Rumänien: die Klosterfrauen im Donaudelta

Stelianas Lachen

 

 

 

 

Das Lachen
der Schwester Steliana

Mein Gott, welch ein Lachen! Das erfrischende Gemüt Stelianas trifft mich vor der Pforte der Kapelle zur Heiligen Himmelfahrt, als sich zwei Schritte vor mir eine giftgrüne Natter auf dem Wege windet. „Keine Angst, Mister Rolf, don´t worry“, belustigt sich die Klosternovizin und fackelt nicht lange. Sie greift einen Stock und haut der armlangen Schlange kräftig eins über. „Muss sein“, meint Steliana, „von den Biestern wimmelt es hier nur so.“ Einige Nonnen eilen herbei und nicken bestätigend: „Die Schlangen sind eine richtige Plage.“ Im Weinkeller, in den Tonnen für das Regenwasser, in den Gemüsebeeten, sogar zwischen den Kirchenbänken kriechen sie herum, erzählen die Schwestern und erklären, dass die Frau gewissermaßen schon seit biblischen Zeiten zur Schlange eine abgrundtiefe Feindschaft pflege. Denn seit Eva im Paradies von einem hinterlistigen Reptil verführt wurde und vom verbotenen Baum der Erkenntnis aß, war es der Herrgott selbst, der ewige Zwietracht säte zwischen der Schlange und dem Weibe. „Und so wird es immer bleiben“, lächelt Steliana. Dann zertritt sie dem malträtierten Tier zu unseren Füßen den Kopf, schaut mich strahlend an und fragt etwas unvermittelt: „Darf ich in der Kirche für dich singen, Mister Rolf?“. Aber ja.
 
Vor knapp einer Stunde bin ich mit der Dolmetscherin Olivia bei den Frauen im Kloster Saon angekommen. In der rumänischen Hauptstadt Bukarest sind wir losgefahren, sind in der Hafenstadt Braila mit einer rostigen Fähre über die breite Donau getuckert, haben uns auf holprigen Straßen durch die nordrumänische Hügellandschaft geschlängelt, durch vergessene Weiler und vorbei an vergessenen Menschen, die unserem fabrikneuen Mietauto hinterher schauen mit müde fragendem Blick. Nein, hier in der Dobrudscha ist die alte Zeit nicht etwa stehengeblieben. Hier ist die neue Zeit noch nicht angekommen. Sie lastet auf den Dörfern wie ein uneingelöstes Versprechen, das den Leuten nicht mehr beschert hat als ein paar Coca-Cola-Reklameschilder und die deplazierte Aufforderung „Come to Marlboro-Country“.

Doch dann, weit unten im Tal des ausladenden Donaudeltas, blitzt es auf: das „Manasteria Saon“. Wie ein glitzerndes UFO von einem fernen Stern gleißen die silbrigen Turmkuppeln der 1846 erbauten Klosterkirche in der Frühlingssonne. Frisch renoviert und weißgetüncht erstrahlt das Gotteshaus. Allerdings nur von Weitem. Schon bald erblicken wir die verwitterten Baugerüste. Denn das Geld für Reparaturen, so erfahren wir später von der Äbtissin Adriana, reichte bislang nur für die beiden Türme und die klaffenden Risse vom Erdbeben im Jahr 1940. Im Innern des Kirchenschiffs herrscht nur nackter grauer Stein.

„Aber die Akustik ist traumhaft“, sagt Schwester Steliana. Die 33-jährige, mit leiblicher Fülle ebenso gesegnet wie mit erdigem  Gottvertrauen und sonnigem Humor, führt mich in das betonkahle Turmgewölbe. Dann steht sie da, in ihrer schwarzen Tracht inmitten von Bauschutt und erhebt den Kopf sanft nach oben. Ein großer Ernst legt sich über ihre runden Gesichtszüge. Sie faltet ihre Hände, dreht mir den Rücken zu und Alles wird still. Dann singt Steliana. „Christ, mein Retter“ singt sie und das „Ave Maria“. Und mein Gott, was für eine Stimme! So fest und klar, so rein und hell, das es licht wird im dunklen Gemäuer, das es uns emporträgt in jene Gefilde, wo nach dem Glauben der christlichen Frauen von Saon des Menschen ewige Heimat ist. Abgesehen von jenen, die in der Hölle schmoren müssen.

Ein aufgescheuchtes Huhn holt uns zurück auf die Erde. Gackernd flattert es aus einer Nische im Mauerwerk hervor. Ein rohes Ei klatscht auf den Boden. Steliana lacht: „Dieses blöde Huhn brütet hier schon seit Wochen. Aber irgendwann landet es im Kochtopf.“ Dann blickt sie auf ihre Armbanduhr: „Es wird Zeit zum Essen. Lasst uns zur Frau Superior gehen.“ Die Oberin, die Äbtissin Adriana, erwartet uns schon. „Herzlich willkommen“, sagt sie freundlich. Und Frau Superior lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass jedes ihrer Worte genau so gemeint ist wie es ihr über die Lippen kommt. Auf dem Tisch stehen Flaschen mit weißem Riesling und rotem Cabernet aus dem klostereigenen Weinbau sowie Teller mit süßem und gesalzenem Schafskäse. Dazu frisches Brot aus dem Steinofen, eingelegte Tomaten, Gurken und Paprika, pochierte Eier, marinierte Waldpilze und gegrillter Karpfen. „Alles was wir zum Leben brauchen, schaffen wir selbst“, sagt Adriana. „Wir sind frei und unabhängig.“

Wir langen zu. Während die Äbtissin und Dolmetscherin Olivia bereits die gesundheitlichen Vorzüge des biodynamischen Landbaus diskutieren, bereite ich das üppige Mahl magenfreundlich auf, mit einem ordentlichen Schluck des hausgebrannten Aprikosengeistes. Bis sich herausstellt: das war nur die Vorspeise. Es folgen Hühnersuppe, Brathähnchen und riesige Mengen eines traumhaften Käsekuchens. Hocherfreut ob meines gesegneten Appetits, und noch mehr erfreut, dass wir eine bescheidene Unterkunft im Kloster einem bequemen Hotel in der Stadt Tulcea vorziehen, lädt Adriana uns ein das Leben der christlich-orthodoxen Schwestern von Saon kennenzulernen, einer Gemeinschaft von vierzig Frauen an den Ufern des gleichnamigen Donausees.

Wenn morgens um halb sechs das Klopfen der Schlaghölzer die Schwestern in die Himmelfahrtskapelle ruft, reiben sich Dumitra und Stephana den Schlaf aus den Augen. Von der zweistündigen Messfeier sind die jungen Frauen entbunden. Stattdessen steigen sie an den Ufern des Sees Saon in ihr Boot. Mit kraftvollem Ruderschlag stemmt sich die zierliche Stephana gegen den stürmischen Wind, während Dumitra die Netze einholt, die sie abends zuvor ausgelegt haben. „Als ich vor sieben Jahren hierherkam“, erzählt Stephana, „ernannte mich die Frau Superior zur Fischerin.“ Und weil die 25-jährige eine innige Freundschaft mit Dumitra verbindet, wurde auch sie zum Fischen eingeteilt. „Am Anfang war uns in dem schaukelnden Boot schon etwas mulmig“, sagen beide. Doch Stephanas Furcht verschwand, seit sie einen mächtigen Fisch besiegte, „einen Wels, so groß wie ich selbst.“ Heute holen die Freundinnen einen Eimer voll Barsche aus dem See. Die wandern gleich in die Küche.

Unentwegt rührt die alte Jordana in russ-schwarzen Pötten über dem offenen Herdfeuer. Zwischendurch führt sie einen überdimensionalen Holzlöffel zum Munde, schmeckt ab, und lächelt wie immer mit bester Zufriedenheit. Dann schiebt sie ein paar Kanten Brennholz in den knisternden Glutofen, auf dem ein Lamm schmort, das vor wenigen Stunden noch im klösterlichen Schafstall blökte. Schwester Maria schleppt derweil einen Korb Enteneier an. Zamfirista vermengt die Eier mit Maismehl und geriebenem Käse zu einer sättigenden Polenta.

Jede der Frauen hat ihre Aufgabe. Maria, die eine zärtliche Leidenschaft für Hühner, Gänse, Puten und Enten hegt, kümmert sich um das Federvieh. Casiana und Cypriana wachen über das Gedeihen der Pflänzchen im Gewächshaus. Schwester Anisora ist die Imkerin. Ihre vierzig Bienenvölker produzieren im Jahr rund tausend Kilo feinsten Blütenhonig. Einen Teil des Honigs verkaufen die Frauen auf den Märkten, das Bienenwachs schmelzen die älteren Nonnen ein und ziehen daraus Kerzen, die in der Kirche zur Ehre Gottes brennen. Und wenn die ersten Strahlen der Frühlingssonne die Erde erwärmen, ziehen die Schwestern mit Saatgut und Hacke auf den Acker. Steliana wischt sich den Schweiß von der Stirn. “Beten und Arbeiten“, sagt sie, „gehört einfach zusammen. Nur vor einer Ikone sitzen und meditieren, das ist nichts für mich.“

Die 39-jährige Ginia kam nach der rumänischen Revolution 1989. Ihr schlichtes Zimmer hat sie sorgfältig und liebevoll hergerichtet. Wie alle Schwestern. Die Wände zieren Dutzende von Ikonen, Madonnenfiguren und Bildchen von der heiligen Rita und von Georg, dem Drachentöter. Voller Freude zeigt sie auch eine etwas kitschige Weihnachtspostkarte, die beim Aufklappen die Melodie von Jingle Bells krächzt. „Als der Diktator Ceausescu tot war“, sagt Ginia, „habe ich als erstes mein Parteibuch verbrannt.“ Sie erzählt wie sie als Näherin in einer Kleiderfabrik in Moldawien zur Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei gezwungen war. „Dauernd haben die staatlichen Agitatoren auf mich eingeredet. Ich sei naiv, haben sie gesagt, und mein Glaube sei Hokuspokus, weil Gott von den Wissenschaften längst als ein Hirngespinst entlarvt sei.“ Gegen die Argumente der kalten Bürokratenvernunft hatte Ginia nichts als ihre Gebete. „Jeden Tag habe ich an der Nähmaschine gehofft, dass diese Zeit vorübergeht. Und nun bin ich hier. Und ich bin glücklich.“

Das sagen alle. Mariana, Ginia und Steliana sind allesamt „Soras“. So nennen sich jene Ordensfrauen, denen die Rückkehr ins zivile Leben jederzeit offensteht. „Jede ist freiwillig hier. Wer möchte, kann selbstverständlich eine andere Lebensform wählen“, so die Äbtissin Adriana. Nur jede Dritte der vierzig Frauen von Saon hat als „Maica“ ihre drei Gelübde abgelegt: das Versprechen zu Armut, Keuschheit und Gehorsam. Ein solches Gelöbnis ist bindend. Ein Leben lang. Damit es aus dem gereiften Wissen um die eigene Bestimmung gegeben wird und nicht etwa aus jugendlicher Schwärmerei liegt das Mindestalter für das Gelübde bei 25 Jahren. Doch Oberin Adriana lässt den Frauen Zeit. Sehr viel Zeit. „Wann mich Frau Superior zur Maica ernennt“, sagt Steliana, „das bestimmt allein sie.“

Natürlich weiß Adriana um die Macht ihres Amtes als Oberin. Doch autoritäres Gebaren entspricht ihr nicht. „Zwänge hatten wir in Rumänien genug“, sagt sie. Die 38-jährige vertraut lieber auf die Freundschaft zu ihren Mitschwestern und auf ihre natürliche Autorität. Und damit brachte die junge Äbtissin frischen Wind in das Klosterleben und gewann das Vertrauen der anderen Frauen. „Ich wollte alles anders machen, ganz einfach menschlicher“, erklärt sie und erzählt von ihrer eigenen bitteren Erfahrung mit einer allzu gottesfürchtigen Äbtissin, die einst in Saon mit eiserner Hand regierte. „Sie ließ ein weinendes Kind tagelang hungern, weil sie strikt auf die Einhaltung eines Fastengebotes bestand.“

Mitte der achtziger Jahre fristeten im Kloster Saon gerade einmal ein Dutzend Ordensfrauen ein kärgliches Dasein. Im düsteren und glaubensfeindlichen Schatten des rumänischen Sekuritatestaates war das klösterliche Leben in Bedeutungslosigkeit versunken. Die Abgeschiedenheit hatte indes auch einen Vorteil. Nur ab und an verirrte sich einer berüchtigten Herren von der Staatssicherheit nach Saon, schnüffelte ein bisschen rum und fragte scheinheilig, ob auch alles in Ordnung sei. Und, so Adriana, „es war alles in Ordnung“. Erst als in den neunziger Jahren im ausgebluteten Rumänien die Gedanken wieder freier und die Gebete wieder lauter wurden, erlebte Saon eine neue Blüte. Die bittere Armut ließ vielen Frauen ein Klosterleben attraktiv erscheinen. „Persönliche Probleme spielen sicher eine Rolle bei vielen, die für kurze Zeit hier herkommen“, hat Adriana erfahren, „aber nicht bei denen die bleiben.“

Denn das selbstgenügsame und gottgefällige Leben hat seinen Preis. Kein Radio und Fernsehen, keine modischen Kleider, keine Kosmetik und Schminke, nur Seife und kaltes Wasser morgens um fünf aus dem Ziehbrunnen. Vor allem die harten Winter zehren an Leib und Gesundheit. Wenn die Schwestern wochenlang eingeschneit sind und ein schneidender Eiswind über die Dobrudscha peitscht, wenn der chronische Husten einfach nicht aufhören will und alle Knochen schmerzen, wenn in der kalten Himmelfahrtskirche der Frost unter die Haut kriecht und nicht einmal die Aussicht auf eine heiße Dusche den Körper erwärmt, dann, so meint Steliana, „hilft dir nur der Glaube. Sonst hältst du das nicht lange aus.“

Doch all die strapaziösen Entbehrungen sind vergessen, heute an einem wunderschönen Frühlingssonntag. „Lasst uns spazieren gehen“, schlagen die jüngeren Schwestern vor. Die Fischerin Stephana rudert uns über den See, und wir ersteigen die Hügel der Dobrudscha. Die Mädchen pflücken die ersten Maiblumen, vom Saon tönt das Quaken der Frösche herüber und über der Donau kreisen die Störche. Oben an dem steinernen Bergkreuz setzen wir uns nieder, dort, wo der Himmel die Erde berührt. Und wir ahnen, vielleicht ist jenes Paradies, das sich die Frauen von Saon ein kleines Stückchen zurückerobern, weniger in der Himmelfahrtskapelle an der Donau zu finden als in uns selbst. Für uns, die wir keiner Schlange den Kopf zertreten und nicht morgens ums sechs das „Herr erbarme dich“ singen. „Aber das brauchst du auch nicht, Mister Rolf“, sagt Steliana. „Das erledigen wir für dich.“ Und dann lacht sie wieder, und die Schwestern vom Kloster Saon stimmen ein. Und es klingt, als läge in diesem Lachen der Schlüssel zu den Pforten des Himmels.
Erschienen in: Brigitte