Kolumbien: Smaragde

Smaragde_Hand

 

 

 

 

 

Schnelles Geld,
schneller Tod

Sie haben ihn in ein weißes Bettlaken gehüllt, ihm die Hände gefaltet und ein paar leere Bierpullen mit brennenden Kerzen aufgestellt. Mehr konnten seine Kumpel für Pedro Hernandez nicht tun. Sein Leben endete im Alter von 28 Jahren auf dem Pissoir neben einer schäbigen Bretterspelunke, in einer klebrigen Pfütze aus schwarzrotem Blut und einem dicken Loch im Kopf. Ein weiterer Mann, von dem Einige zu wissen glaubten, dass er Enrique hieß und aus Maripí stammte, schleppte sich mit drei Kugeln im Leib noch dreißig Meter weiter einen glitschigen Erdhügel hinauf. Dann starb auch er und mit ihm sein Traum von Glück und Geld.

Wer die beiden abgeknallt hat, weiß niemand. Und das heißt hier in den kolumbianischen Kordilleren: es will niemand wissen. Die nächtlichen Zechgenossen haben sich aus dem Staub gemacht. Der Barbesitzer zuckt ahnungslos mit den Schultern, der Zigarettenverkäufer hat nichts gesehen, und die junge Frau, die gerade ihren Kiosk aufschließt, erinnert sich nur an ein paar nächtliche Schüsse und Schreie. Aber es muss doch Zeugen geben, die erzählen können was hier los war? „Frag nicht soviel“, sagt mein Begleiter Eduardo.

„Es gab wohl wieder ein Problem.“ Mehr kommt den umstehenden Minenarbeitern als karger Kommentar frühmorgens nicht über die Lippen. Dann greifen sie zu Blechschaufel und Spitzhacke und schlurfen in ihren Gummistiefeln los in die Bergwerke. Nur zwei junge Capitans der Polizei aus Cosquez stehen ratlos am Tatort, ziehen sich Filterlose rein und kritzeln irgendwelche Notizen in ihre Blöcke. Pfarrer Fernando, der die Ermordeten am Nachmittag mit ein paar Bibelversen unter die Erde bringen wird, wirft nicht einmal einen Blick auf die Leichen. „Erst wenn der Sargdeckel zu ist“, sagt der Gottesmann. „Ich kann die vielen Toten nicht mehr sehen. In diesem Land haben zu viele Leute ein Problem.“ In den letzten drei Monaten hat der fromme Padre dreißig Morde gezählt. „Wahrscheinlich sind es mehr. Denn zählen kann man die Toten nur, wenn man auch eine Leiche findet. Aber manchmal sind Leute plötzlich nicht mehr da. Einfach weg, spurlos verschwunden gewissermaßen, wenn du verstehst was ich meine.“

Der Anlass für die tödlichen Probleme ist klein, grün und teuer: Smaragde. Die feinsten Qualitäten der Welt lagern in kristallinen Quarzadern und die schlummern tief im Inneren der kolumbianischen Berge in der unwegsamen Provinz Boyacá. Doch von den düsteren Tunneln der Smaragdgruben bis zu den Auslagen der Juweliere in New York oder Paris ist es ein weiter Weg. Bevor die Kleinode Ringfinger und Ohrläppchen zieren oder die Blicke auf die Dekolletés betuchter Damen lenken, müssen die Steine erst einmal der Erde entrissen, geschnitten, geschliffen und poliert werden. Dabei gewinnen sie ihren sattgrünen, geheimnisumwitterten Glanz, doch um einen hohen Preis. Sobald die Smaragde in die Hände der Menschen geraten, verlieren sie ihre Unschuld. Sie mutieren zu Objekten der Gier. Für sie wird betrogen, geraubt und gemordet.

Fünf Stunden hat sich unser Jeep über die Serpentinen von dem Marienwallfahrtsort Chicinquíra bis in das Bergstädtchen Muzo gequält. Die Smaragdroute gilt als eine der verrufensten Pisten der Welt. Wer hier mit seinem Landrover und einem Kennzeichen aus Bogotá durch die Schlammpfützen brettert, der hat zumeist Geld oder Smaragde dabei. Oder beides. Die vielen Kruzifixe am Rande der Talschluchten bezeugen: so manche Partie Edelsteine und sein Besitzer haben niemals die Schleifereien in Bogotá erreicht. „In den letzten Jahren gab es weniger Überfälle“, sagt Eduardo, „weil die reichen Grubenbesitzer sich mit einer Armee von Bodyguards umgeben und nur noch mit ihren Helikoptern ins Minengebiet einfliegen.“ Aus den Bergwerken um das Städtchen Muzo werfen die Edelsteinbosse sechzig Prozent des weltweiten Bedarfs an Smaragden auf den Markt. Offizieller Jahresumsatz: 400 Millionen Dollar. Der jedoch entlockt den kolumbianischen Smaragdbaronen nicht mal ein müdes Lächeln. Was an grünen Edelsteinen schwarz die Grenzen verlässt, schraubt ihre Gewinne um ein Vielfaches höher.

Die ertragreichsten Minen sollen zurzeit in der Gegend von Cosquez liegen. Doch die knapp zwanzig Kilometer dorthin sind mit unserem Geländewagen nicht zu schaffen. „Wenn ihr es versucht“, meint Anibal Torres, „steckt ihr nach spätestens einer Viertelstunde in der Scheiße.“ Torres Einschätzung der Straßenverhältnisse erweist sich als realistisch, zugleich jedoch nicht frei von Eigennutz. Denn Anibal Torres ist der Inhaber des „Servicentro Occidente“. Hinter dem hochtrabenden Namen verbirgt sich ein Fuhrunternehmen. Der Fuhrpark besteht aus einem verbeulten LKW. Doch der ist Gold wert. Ohne den Truck läuft in Muzo nichts. Und Senor Torres weiß das. „Ich bringe euch zu den Minen nach Cosquez. Für 250.000 Pesos. Wir einigen uns auf 170.000, umgerechnet 250 Deutsche Mark. „Abfahrt morgen früh um vier“, sagt er knapp, „dann könnt ihr mit den Arbeitern um sechs in die Stollen gehen.“

Das Gebirge rund um die Wildwest-Siedlung Cosquez ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Ein undurchschaubares Labyrinth aus Schächten, Tunneln und Stollen hat die Berge Urraca und San Marcos bereits derart ausgehöhlt, das sich wegen der drohenden Einsturzgefahr niemand mehr hineinwagt. Es gibt staatliche Pläne, dass Sicherheitsrisiko dadurch zu beseitigen, in dem man Teile Bergkette mit riesigen Ladungen Sprengstoff kurzerhand in die Luft jagt. 


„Glaub mir, in meiner Grube ist noch kein nennenswertes Unglück passiert“, versichert Ceasar Morales. Der 45-jährige besitzt eine Smaragdmine unterhalb von Cosquez, die nur über steile und schlüpfrige Trampelpfade zu erreichen ist. Jeden Tag „außer am geheiligten Sonntag“ klettert Ceasar mit seinen fünfzehn Mineros in seinen düsteren Stollen. Einer seiner Angestellten ist Ruben Poveda, genannt „El Negro“, der Schwarze. „Es muss bald was passieren“, meint er. „Seit Wochen malochen wir uns den Arsch ab. Und wofür?“ – „Nada“, sagen seine Kumpel, „Nada“. Nichts. Seit vier Monaten hat im Berg kein grüner Kristall mehr im Licht ihrer Grubenlampen gefunkelt. Seitdem haben sie keinen Peso Lohn mehr in die Hände bekommen. 


Dann bekreuzigt sich El Negro, murmelt ein paar Grüße an die Gottesmutter Maria, und wir verschwinden in den düsteren Eingeweiden der Erde. Kilometerweit kämpfen wir uns durch die feuchten, beklemmend engen Stollen, waten durch knöcheltiefen Schlamm, als plötzlich die Erde unter dumpfen Detonationen erbebt. Die hölzernen Stützbalken zittern, überhängendes Gestein bröckelt herab. „Keine Angst“, sagt Ceasar, „Dynamit.“ In irgendwelchen Löchern im Berg sprengen sich Minenarbeiter den Weg zu den Quarzadern frei. 


Am Ende des Stollens beginnt für El Negro, Andres und Léon die schweißtreibende Schufterei. Unter dem funzeligen Licht ihrer Stirnlampen wuchten sie ihre Spitzhacken ins schwarze Gestein, schippen das Geröll in Loren und schieben die zentnerschweren Wagen über hölzerne Schienen ins Freie. Abends wird die Schlacke unter Wasserdruck durchgespült. Nach einer halben Stunde weiß Ceasar, dass er und seine Arbeiter nur wertlosen Abraum aus dem Berg geholt haben. „Nada“, sagt El Negro. Wieder nichts. 


Dennoch, auf Ceasar Morales lassen seine Mineros nichts kommen. „Don Ceasar ist ein guter Chef.“ Wie allen Minenbesitzer zahlt er für Stiefel, Helm und Schippen. Er lässt die Arbeitskleider waschen, stellt ein Bett und warme Mahlzeiten bereit und bei guter Laune auch mal eine Kiste Leones-Bier in die Schlafbaracke. Ansonsten sind alle Minenarbeiter prozentual an den Smaragdfunden beteiligt. Kleine und minderwertige Steine dürfen sie behalten und auf eigene Faust zu Geld machen. Doch ohne Funde, nada moneda. 


„Meistens reicht es nicht, um meine vier Kinder satt zu kriegen“, sagt Maria Eugenia. Seit ihr Mann nachts ins Bett zu einer Anderen kriecht, steht die 25-jährige jeden Tag allein in den Schlackentälern von Mate Café und wühlt im knietiefen Morast nach grünen Steinen. „Natürlich könnte ich mit den Kindern nach Bogotá gehen“, sagt die bildhübsche Frau. „Ich könnte bei reichen Leuten putzen oder in einem Imbiss Hamburger braten. Aber was ist das für ein Leben.“ So denken sie alle der 25.000 dreckverschmierten Smaragddigger, deren baufällige Bretterbehausungen wie Schwalbennester an den Berghängen rund um die Minen kleben. „Ein guter Stein“, träumt Maria Eugenia, „und ich bin weg.“ Doch der biblische Spruch, demnach wer sucht auch findet, ist für die Guaqueros, die „Glücksucher“, zumeist nicht mehr als höhnischer Trost. 


Anders noch vor einigen Jahren. „Da haben sich viele den Hintern vergoldet“, meint El Negro. Damals förderten die Minengesellschaften die Smaragde noch im Tagebau. Mit riesigen Bulldozern. Und die schoben jeden Tag schwarze Sturzbäche aus Abraumschlacke in die Flussläufe. In den Schlammlawinen waren immerhin noch zwanzig Prozent der Minenausbeute zu finden. Die überließen die Bosse den Guaqueros. Zehntausende wühlten nach Smaragden und verfielen dem grünen Fieber. Viele wurden fündig, bis die Minengesellschaften dazu übergingen, die Edelsteine im lohnenderen Tunnelabbau zu fördern und der Schlackenfluss dünner wurde. Eine Katastrophe für die Guaqueros. Die Klugen verschwanden, der Rest blieb und verballerte seine letzten Gewinne bei den Mädels in den Bars von Mate Café. 


In einer Schnapsbar treffe ich den zahnlosen El capitano. Ich hätte gern seine Geschichte aufgeschrieben. Aber das wirre Zeug, das der betrunkene Alte vor sich hinbrabbelt, ist nicht zu verstehen. Fest steht, so erzählen einige Männer, dass der Kapitän früher ein paar gute Funde und gutes Geld machte. Er kippte literweise Aguadiente in sich hinein, orderte drei Huren zugleich und setzte horrende Summen auf Hähne, die am Ende des Kampfes tot am Boden lagen. Heute torkelt El capitano als Schatten seiner selbst durch die Gegend, fuchtelt mit seinen Armen in der Luft herum und schwört bei der seligen Jungfrau, dass seine Zeit noch kommen wird. Niemand hört ihm zu. „Zu viele verlorene Teufel hier“, sagt der Seelenhirte Fernando. „Und die Reichen scheren sich einen Dreck. Sie lassen den Armen nicht einmal mehr ein paar Brotkrümmel vom Tisch fallen.“


Selbst der Minenbesitzer Ceasar Morales ist nur einer von vielen kleinen Fischen, die im Teich der großen Bergwerks-Kompanien wie Coexminas oder Esmeracol mitschwimmen. Als er mit zwei Kompagnons vor zwei Jahren Smaragde im Wert von 12 Millionen Dollar aus seiner Grube in Cosquez holte, standen die wahren Herren des Geschäftes auf der Matte. Carlos Molina und Victor Carranza. Sie sind die Herrscher über die Smaragdberge und als solche stellen sie das bis an die Zähne bewaffnete Security-Personal. Doch die unfreiwillige Protektion hat ihren Preis. Einen Gutteil ihres Erlöses mussten Ceasar und seine Teilhaber abdrücken. Und wenn sie nicht gezahlt hätten? „Du stellst bescheuerte Fragen“, sagt Eduardo.


Das Tecminas Bergwerk in Quípama gleicht einer Festung. Am Schacht Puerto Arturo haben sich die breitschultrigen Typen aus den Privatarmeen der Bosse aufgebaut. Doch der Chefingenieur Manuel schleust mich lächelnd an Maschinenpistolen, Revolvern und Pumpguns vorbei. „Fotografiere was Du willst“, meint er und winkt sofort einen Minero herbei, der einen Helm und ein Paar Gummistiefel anschleppt. Was verwundert. „Die machen gegenüber Ausländern einen auf Offenheit“, meint Companero Eduardo, der ebenso wie Pfarrer Fernando nicht den Hauch einer Chance gesehen hatte, die Erlaubnis zu erhalten in den Schlund der Grube Puerto Arturo hinabzusteigen. Denn dieser Schacht gehört Victor Carranza, dem einstigen Guaquerojungen, der sich zum reichsten Mann Kolumbiens emporgewirtschaftet hat. Doch der Zar der Smaragde scheut Publicity. Denn Don Victor hat ein Problem. 


Ein paar Tage vor unserer Ankunft in Muzo wurde Carranza in Bogotá festgenommen. Vierzig Agenten von der berittenen kolumbianischen Geheimpolizei hatten ihn auf einer riesigen Finca am Rande der Hauptstadt aufgespürt, versteckt hinter einem Wassertank, bewacht von einem deutschen Schäferhund und mit Smaragden für 700.000 DM in der Hosentasche. Der Vorwurf des kolumbianischen Generalstaatsanwaltes: Carranza soll private Todesschwadronen unterhalten, paramilitärische Kampftruppen gegen die kolumbianischen Links-Guerillas. Vor Jahren schon wurde auf einer seiner Farmen ein Massengrab mit siebzig Leichen entdeckt. Damals konnte man Carranza nichts nachweisen, heute könnten neue Zeugen dem 62-jährigen dreißig Jahre Knast bescheren. Auch wenn den „testigos sin rostro“, den „Zeugen ohne Gesicht“, von der Staatsanwaltschaft Anonymität zugesichert wurde, sie brauchen viel Mut. Der Anwalt von Carranzas Gegner, Drogenmafiosi Leonidas Vargas, wurde kurz nach Don Victors Verhaftung gekillt. „Krieg ohne Ende“, titelte die größte kolumbianische Zeitung „El tiempo“.


Don Victors Smaragdmine indes scheint ein Hort der Ordnung und eine Oase des Friedens. Dieses Bild jedenfalls weiß der redegeschulte Ingenieur Manolo zu malen. Demnach fühlen sich die Arbeiter wohl, werden überdurchschnittlich entlohnt und die berüchtigten „problemas“ werden im fairen Gespräch geklärt. „Und wers glaubt“, raunt Eduardo mir zu, „der wird selig.“ Natürlich, meint Grubenchef Manolo, „ist die Verlockung groß, mal einen wertvollen Stein im Stiefel verschwinden zu lassen. Doch das kriegen wir raus. Das wissen unsere Arbeiter. Deshalb verschwinden hier auch viel weniger Steine als in anderen Minen.“ Und wenn jemand beim Diebstahl erwischt wird? „Dann wird er verwarnt“, setzt Manolo ein gewinnendes Lächeln auf, „und in schweren Fällen sogar entlassen.“


Die Habenichtse in den Minensiedlungen wissen es besser. Doch es scheint, als verschließe eine unsichtbare Macht ihre Lippen. Man spürt die Beklommenheit. Und die Angst. Sie verbirgt sich hinter vagen Andeutungen, hinter Anspielungen, hinterm Schweigen. Selbst abends in den Kneipen von Muzo. Immer wieder kommen adrett gekleidete Herren mit nagelneuen Toyota „HiLux“ vorgefahren. Sie tragen amerikanische Bluejeans und schwarze Lederjacken, bieten mir Zigaretten an und laden stinkend freundlich zum Bier ein, wobei sie selbst immer nur Coca-Cola bestellen. Sobald sie den Raum betreten, wird es merkwürdig still. Die Digger verstummen. Jeder Guaquero weiß: wer zuviel quatscht, der kriegt die Kugel. Und wer einen Smaragd der Barone in die eigene Tasche steckt, der taucht nie wieder aus einem der stillgelegten Stollen auf oder landet mit abgeschnittenem Kopf im Rio Minero.

  „Fluss des Todes“ nennt Pfarrer Fernando das schwarze Wasser, das sich durch die atemberaubende Berglandschaft windet. Viertausend Menschen ließen in Kolumbiens „grünem Krieg“ um die Smaragde ihr Leben. „Jeden Tag trieben die Leichen den Rio hinunter“, so der Padre und er weist auf den Schriftzug „PAZ DIOS VE TODO“, der in riesigen weißen Lettern am höchsten Berggipfel über der Stadt Muzo prangt. Ein redlicher Geschäftsmann brachte ihn an, bevor er resigniert das blutige Terrain verließ. „Frieden, Gott sieht alles“. Mag sein. Die kolumbianischen Staatsbehörden indes sahen weg, als die Gemetzel um die Smaragde zwischen 1989 und 1990 ihren Höhepunkt erreichten. Damals hatte der Kokainboss des Medellin-Kartells Gonzalo Rodriguez Gacha versucht, Einfluss auf den Smaragdabbau und das Edelsteinbusiness zu nehmen. Unter dem Druck, Drogengewinne legalisieren zu müssen, wuchs Gachas Interesse an der Übernahme der Minen. Denn der wildwüchsige, kaum kontrollierbare Smaragdabbau gilt als ideale Waschanlage für schmutziges Kokaingeld.

Um die etablierten Herren der Minen auszuschalten, fiel Gachas Wahl der Mittel nicht gerade zimperlich aus. 1989 schickte er seine als Soldaten verkleideten Mannen zu einer privaten Party des bis dato unumschränkten Smaragdkönigs Gilberto Molina. Die Killer stürmten das Fest und massakrierten Molina mitsamt seinen achtzehn Leibwächtern. Das Tecminas-Büro in Bogotá wurde kurzerhand in die Luft gebombt. Carranzas besten Ingenieur ließ der skrupellose Gacha kidnappen und genau über Don Victors Smaragdmine aus einem Flugzeug werfen. Lebend. Doch Gachas Triumph währte nur kurz. Er wurde von kolumbianischen Militärs gestellt und kurzerhand erschossen. Der lachende Dritte war Carranza. Seine gewiss nicht uneigennützigen Bemühungen um Frieden unter den Smaragdbaronen brachte Mitte 1990 eine trügerische Ruhe in die Provinz Boyacá.


„Die Gewalt begann mit dem Reichtum und der Gier immer reicher zu werden“, glaubt Carmen Olivia Gomez. „Die Bosse haben doch nur deshalb Frieden geschlossen, um nicht selber ermordet zu werden.“ Carmen ist Bürgerrätin in dem Minendorf Quípama, dort, wo die Legende Gilberto Molina seit seinem Tod vom Halbgott zum Gott aufstieg. „Die Leute liebten ihn, und er genoss es geliebt zu werden“, erinnert sich die 47-jährige Carmen an die besseren Tage von Quípama. „Don Gilberto war ein Mann der Fiesta.“ Was heißt: er soff, tanzte, zockte und hurte. Doch die euphorischen Zeiten, als Don Gilberto aus dem Hubschrauber heraus säckeweise Pesos unter die Leute warf, sind vorbei. Was blieb, ist seine Marmorbüste auf der Plazza, und der Traum vom Reichtum für alle. An ihn erinnern ein verwaister Flugplatz mitten in den Bergen, auf dem wegen der gefährlichen Fallwinde seit Jahren kein Flieger mehr gelandet ist, und viel zu großes Bürgermeisteramt mit einem monumentalen Springbrunnen aus Beton. Der wirkt irgendwie modern. Aber er funktioniert nicht.

„Quípama kannste vergessen“ lallt Oswaldo nach ein paar Wassergläsern Schnaps und dem zehnten Fläschchen Leones. „Glaub mir, Quípama ist. Die Zukunft, die liegt in Maripí. Das ist der Tipp. Da musst Du hin. Merk Dir, Maripí. Kauf dir ein Stück Land und du findest Smaragde so groß wie Taubeneier.“ Der sturzbetrunkene Oswaldo faselt noch reichlich unverständliches Zeug über die verfluchten Scheiß-Steine, über Gangster, Fälscher und irgendwelche Betrügerärsche aus Martinique, dann wankt er davon, fertig mit sich, mit Gott und der Welt. „Spinner“, sagt Eduardo. Mag sein.

  Am nächsten Morgen um elf treffen wir Oswaldo noch einmal, dieses Mal als Smaragdaufkäufer und kaum wiederzuerkennen. Er steht auf dem Edelsteinmarkt „El mango“, vor seinem schnieken Landrover, ausgeschlafen, in sauberen Jeans und frisch gebügeltem Hemd. Das weiße Handtuch zum Polieren der Steine hat er lässig über die Schulter geworfen. Sein Handy piept. „Nada“, gibt Oswaldo nach Bogotá durch. „Nichts, keine besonderen Steine.“ Ein, zwei Tage will er hier noch dranhängen, sagt er, „aber Quípama hat seine besten Tage gesehen.“ 

Wir fahren zurück nach Bogotá. Eduardo bringt mich zum Flughafen. Wir trinken noch einen letzten Kaffee zusammen und Eduardo kauft die Tageszeitung „El tiempo“. „Verdammt noch mal“ ruft er, „das kann doch nicht wahr sein.“ Eine Schlagzeile springt ins Auge. Mineros aus der Provinz Boyacá stießen auf zwei riesige Smaragdadern. Die erste Ausbeute verspricht grüne Steine für mindestens 100 Millionen Dollar im Jahr. „Rat mal, wo“, schüttelt Eduardo den Kopf. Woher soll ich das wissen? „Zwanzig Kilometer von Quípama, ausgerechnet in Maripí.“

Erschienen in: GQ