Uganda: Bitteres Salz am Lake Katwe

RostigePumpen

 

 

 


„Ihr Deutschen
seid Freunde –
aber keine guten“

Das Ufer des Lake Katwe ist ein Ort, an dem selbst eine leere Zigarettenpackung noch von medizinischem Nutzen ist. Bevor der Salzarbeiter Mugisa Rorings in die chemische Brühe des Sees steigt, verarztet er notdürftig seine geschundenen Beine. Entkleidet bis auf die Shorts kramt er eine Packung der Hautsalbe „Star“ hervor, die gut sein soll gegen Entzündungen, gegen Insektenstiche und gegen Fadenwürmer, die sich unter der Haut einnisten. „Good stuff“, sagt Mugisa, „made in India“. Zwar hat die Salbe bislang nicht geholfen, „aber eine andere Medizin gibt es hier nicht.“  Er quetscht die weißliche Creme auf die pfenniggroßen Geschwüre an seinen Beinen und Oberschenkeln, dann reißt er die Silberfolie aus einer zerknüllten Schachtel „Sportsman“-Zigaretten, pflastert die Papierfetzen auf seine Wunden, bandagiert sie mit ein paar Stofflappen und wickelt einen schwarzen Schlauch darum, der früher mal die Luft in einem Autoreifen hielt. Der Gummischutz soll verhindern, dass scharfkantige Mineralien den Arbeitern in dem Salzsee von Katwe die Füße zerschneiden.

Mugisa Rorings und seine Kollegen ergreifen ihre eisernen Brechstangen und waten mit dürren Beinen hinein in die aggressive Chloridsuppe des Vulkansees im Südosten Ugandas. Unter der sengenden Sonne werden Rorings und seine Kollegen stundenlang bis zur Brust in der brühwarmen Salzsole stehen und kiloschwere Brocken Natriumchlorid aus dem Untergrund brechen. Eine Plackerei für Steinsalz der miserablen Qualität Kategorie No.3. Für Menschen ungenießbar.

Dennoch sagt Mugisa: „Dieser Fleck Erde ist von Gott gesegnet.“ Ein Satz, immer wieder zu hören ist am Ufer des Lake Katwe. Er will sagen: „Eigentlich müssten wir hier reich sein.“ Und es sah ja auch mal so aus, als würden die Menschen reicher werden, damals, als die Deutschen an den Lake Katwe kamen.

„Ihr Deutschen seid doch unsere Freunde“, sagt Seezi T. Bambale, der in einem staubigen Drugstore bunte Pillen und Tinkturen anbietet, wobei er seine spärlichen Regalbestände an Tabletten nach Größe, Form und Farbe klassifiziert. Krankheiten wie Malaria, Cholera und Tuberkulose beschreibt er, indem er keuchend und hustend das Röcheln der Fiebernden nachahmt. Dann krempelt er die Hosenbeine hoch und kratzt sich an den Waden um die schlimmste Plage am Lake Katwe optisch zu untermalen: Stechmücken, die ihre Larveneier in die offenen Wunden der Arbeiter legen. „Die fressen dir die Füße weg“, sagt er und ergänzt: „Ich würde gern mehr Arzneien verkaufen. Aber die meisten hier haben kein Geld.“ Aber die Deutschen, die haben Geld. Und Mister Seezi mag Leute mit Geld. Dumm ist allerdings, dass dieses Geld nicht mehr richtig fließt. Seit 20 Jahren blicken Bwambale und seine Nachbarn auf eine monströse Industrieruine, die sich zumindest farblich in die staubtrockene Landschaft Ugandas fügt. „Ihr Deutschen seid zwar Freunde“, sagt der Salzarbeiter Suley Kasunzu, „aber keine guten. Ihr wolltet uns den Wohlstand bringen mit eurer Salzfabrik. Und habt uns nur einen Haufen Schrott hinterlassen.“

„Lake Katwe Salt Company LTD“ prangt in blauen Lettern auf der Fassade des ockerfarbenen Klotzes, den die Deutschen hierher brachten und der den Salzabbau in Katwe vom Mittelalter in die vollautomatisierte Hightech-Ära katapultieren sollte. Doch je dichter man sich ihr nähert umso deplazierter wirkt die riesige Raffinerie zwischen den Lehmhütten der Einheimischen. Den Stacheldraht rund um das Werksgelände, so groß wie zwei Fußballfelder, überwuchern Kakteen. Schlinggewächse ranken aus den Überresten des ehemaligen firmeneigenen Fuhrparks, neun VW-Busse, die mittlerweile restlos ausgeschlachtet sind. Dazwischen grasen Ziegen und Longhorns.

Der Gang ins Innere bizarren Kastens ist ein apokalyptischer Trip ans Ende des industriellen Zeitalters. Fünf Stockwerke, und alles ist braun. Braun in allen erdenklichen Schattierungen. Es ist die Farbe des Rostes; der gibt das klotzige Menschenwerk der Natur zurück. Der Rost zerfrisst Leitungssysteme und Rohrlabyrinthe, er lässt Förderbänder stillstehen, Elektromotoren verrecken und Druckkessel bersten.

Und merkwürdig, zwischen den leckgeschlagenen Wasserpumpen, maroden Kristallisatoren und haushohen Wärmetauschern, die einst zum Aufkochen der ugandischen Salzsole in deutschen Stahlschmieden spezialgefertigt wurden, zwischen all den geborsten Schläuchen, geplatzten Manometern und vorquellenden Isolierstoffen wirken nur die Firmenschilder der Hersteller auf seltsam entrückte Weise intakt. Doch der Heizkessel „Lurgi Apparatetechnik GmbH, Frankfurt a.M., Fabriknummer 1268, Betriebstemperatur 112 Co, 3,8 Bar“ erfüllte genauso wenig seinen Zweck wie der Wärmetauscher „Order Nr. 210.0.0009“ von Thyssen-Rheinstahl, von dem der weiße Stempelaufdruck verrät, dass die Apparatur über den Schiffsweg via Mombasa/Kenia für die „Uganda Government Developement Corporation“ bestimmt war. Nie hat die Anlage auch nur eine Tasse brauchbares Salz produziert.

Der Lake Katwe mag von Gott gesegnet sein, er stinkt jedoch nach Hölle. Schwefelwasserstoff, ausgegoren in den Eingeweiden der Erde, blubbert aus Fumarolen und wirft schaumige Blasen im trüben Wasser. Der Geruch von faulen Eiern hängt in der Luft und erinnert daran, dass am Rande der Zentralafrikanischen Schwelle, wo heute die Grenze zwischen Uganda und dem Kongo verläuft, die Erdkruste vor rund 10.000 Jahren unter eruptivem Getöse ihr Innerstes nach Außen kehrte. Zurück blieb ein mineralreicher vulkanischer Kratersee zwischen Ruwenzori-Gebirge und Lake Edward mit extrem hohem Salzgehalt. Trotz des hohen Anteils an bitterem Glaubersalz und hochgiftigen Substanzen wie Schwefelsäure, Chlor, Fluor und Brom erwies sich der Salzsee als Segen für die Region. Mit dem einzigen Salzlager im Umkreis von Hunderten von Kilometern decken Generationen von Viehzüchtern den Mineralienbedarf für ihre Ziegen und Rinder. Noch im zwanzigsten Jahrhundert zogen Salzkarawanen von Katwe bis hoch nach Ägypten.

„Der See ernährt noch immer 6000 Menschen“, sagt Nathan Bwambale,  „am Salz hängt die Existenz der ganzen Region.“ Als Verwalter von zweieinhalbtausend Teichparzellen ist der 48-jährige dafür zuständig, dass jeder Sack und jeder Brocken Salz den Weg über die behördliche Registratur nimmt. Wegen der Steuer. 2500 ugandische Schillinge erhalten die Arbeiter im Schnitt für 100 Kilogramm. Das sind umgerechnet 3,30 Deutsche Mark. Davon kassiert die ugandische Staat rund sechzig Prozent und überlässt die Salzgärten am Uferrand des Lake Katwe den Familien zur privaten Bewirtschaftung. In den Regenzeiten laufen die Teiche voll, das Wasser spült das Salz aus dem Untergrund, während die konzentrierte Sole in den heißen Trockenmonaten verdunstet. Dann schöpfen Frauen und Kinder die grauweißen Kristalle ab und stampfen mit nackten Füßen schlammige Verunreinigungen aus dem Kochsalz. Für einen Tageslohn von knapp einem Dollar.
Bereits zu Beginn der siebziger Jahre lag der deutschen Bundesregierung ein Antrag Ugandas auf Unterstützung bei der industriellen Koch- und Kalisalzgewinnung vor. Das Projekt wurde bewilligt. Die Gesellschaft für Salinentechnik und die Kreditanstalt für Entwicklungshilfe planten die technische Umsetzung. Thyssen bekam den Auftrag für eine schlüsselfertige Anlage, mit dem Aufbau vor Ort wurde die Schweizer Konstruktionsfirma ROKO beauftragt. Und als nach fast fünfjähriger Bauzeit die Produktion 1980 endlich anfuhr, da pumpten die Maschinen nicht nur die erste Sole aus den unterirdischen Lagerstätten des Lake Katwe in die Raffinerie, sondern auch, so Stadtsekretär David Tibaijuka, „unsere Hoffnung auf Entwicklung und Wohlstand“.

„Das erste gewonnene Salz sah eigentlich recht gut aus“, erinnert sich Oskar Rothen, einst kaufmännischer Leiter von ROKO und heute Schweizer Honorarkonsul in der ugandischen Hauptstadt Kampala. „Doch dann entdeckte man zwischen den weißen Kristallen winzige schwarze Partikel. Schnell war klar, es gibt wohl ernste Probleme.“ Die Verschmutzungen, so Rothen, „waren die Folge irgendeines aggressiven Gases in der Sole, das die Dichtungen auflöste und sogar die Edelstahllegierungen angriff.“ Die Produktion wurde gestoppt. Ein Fehler. Denn anstatt die Anlage sofort mit Süßwasser zu spülen, ließen die ugandischen Betreiber den reaktionsfreudigen Chemikalienmix in dem System. Der Zersetzungsprozess nahm seinen Lauf.
Rund 35 Millionen Mark dürfte die Bundesrepublik die Fabrik gekostet haben, schätzt Manfred Möchel, der damals die technische Planungsphase des Lake Katwe-Projektes leitete. Bei der Antwort auf die Frage, wer nun letztlich die beachtliche Kapitalvernichtung zu verantworten hat, kommt dem heute pensionierten Angestellten der damaligen Bundesstelle für Entwicklungshilfe (heute GTZ) der Vergleich mit einem Kartenspiel: “Jeder schiebt dem Anderen den Schwarzen Peter zu.“

Jedenfalls verklagte Uganda die Firma Thyssen wegen Materialfehlern. Die Angelegenheit wurde vor dem Gerichtshof in Den Haag verhandelt und Thyssen musste ein paar Millionen Dollar Rückzahlung leisten. Von dem Geld wurden neue Wärmetauscher mit einer robusteren Metalllegierung in Auftrag gegeben und in der Schweiz gebaut. „Doch weil Uganda die Transportkosten nicht übernehmen wollte“, so Möchel, „kamen die millionenteuren Ersatzteile nie in Katwe an.“ Als Mitte der neunziger Jahre der ugandische Präsident Museveni eingeschaltet wurde, betrugen die Reparaturenrechnungen mittlerweile 15 Millionen Dollar. Die wollte keiner zahlen.

Heute verursacht die Fabrik bescheidene Aufwendungen von etwa fünfzig Mark im Monat. Das ist der Lohn für Gideon Mohendo, der vom ugandischen Entwicklungsministerium besoldete Hüter der wahrscheinlich kostspieligsten Seeschwalbenbrutstätte der Welt. Mit einem Stromkabel, das er zu einem Spazierstock umgebogen hat, flaniert der Vater von zehn Kindern über das Werksterrain, das er rund um die Uhr vor Dieben schützen muss. Was eine ziemliche öde Angelegenheit ist. Einmal, so erzählt er, hat er ein paar halbwüchsige Kerle erwischt, die zehn Monate aufgebrummt bekamen, weil sie ein Stück Rohr für die heimische Klospülung wegschleppen wollten. „Ich glaube“, überlegt Mohendo eine Weile, „das war vor fünf oder sechs Jahren.“ Die restliche Zeit schlägt der Aufpasser in einem lehmverputzten Kabuff neben dem Fabriktor tot. Das ist sein Büro. Zur Ausstattung gehören ein Holztisch und ein Stuhl mit drei Beinen. In der Ecke steht ein gelber Ölkanister mit seiner Trinkwasserration für den Tag. An einem rostigen Nagel neben dem Türloch hängt eine Steinschleuder mit Gummizug. „Wegen der Langeweile“, kommentiert der Mittfünfziger das Schießgerät. Damit fletscht der Wächter ab und an ein paar Kiesel auf die Heerscharen von Möwen, die vom Lake Edward herüberschwirren und auf seine Fabrik kacken. Und warum funktioniert sie nicht? Gideon Mohendo stützt das Kinn auf seinen selbstgebastelten Regentenstab und sagt mit gewichtiger Miene: „Ich muss dir sagen, mein Freund, ihr Deutschen seid nette Kerle, aber von Technik habt ihr keine Ahnung.“

Manfred Möchel sieht das anders. Und er hat wahrscheinlich nicht unrecht. Ihm zufolge wurde der entscheidende Sargnagel für Katwe nicht von Ingenieuren geschmiedet sondern in den Amtstuben der Bürokraten: „Alle Experten haben dem deutschen Entwicklungsministerium damals dringend geraten, zunächst eine Pilotfabrik im Maßstab 1:10 zu bauen, um eventuelle Probleme bei der späteren Großanlage zu vermeiden.“

Das Pilotmodell jedoch wurde unter Erhard Eppler, der damals Entwicklungsminister war, abgelehnt. Aus Kostengründen. „Und weil Uganda Druck machte“, so Möchel. „Die wollten natürlich Geld verdienen und drängten auf eine schnelle Fertigstellung.“ Dass hinter den Drängeleien niemand anderes steckte als der irre Idi Amin, und die protzige Salzfabrik ausgerechnet unter einem Despoten errichtet wurde, der sein Land in ein blutiges Schlachthaus verwandelte, daran mag sich heute niemand mehr gern erinnern.

Die Irrungen der Politik interessieren den Salzarbeiter Suley Kasunzu nicht. Er denkt eher praktisch. Flüsternd, so als verrate er ein Geheimnis, raunt er: „Ihr hättet Kunststoffrohre für die Fabrik nehmen müssen. Wisst ihr nicht, dass Plastik nicht rostet.“ Und überhaupt hätten die Deutschen seinem Land kein Glück gebracht, ja sie hätten die Stätte des Segens gewissermaßen mit dem Virus des Unheils infiziert. Wie das? „Gift“, sagt Suley mit einem Tonfall, der argumentativen Widerspruch im Keim erstickt. „Eure Techniker mit den schönen Gummistiefeln und Plastikanzügen haben zu viele Löcher in den See gebohrt. Dabei sind sie auf irgendein Scheißzeug gestoßen und haben es in die Fabrik gepumpt. Und als die kaputt war, sind sie wieder abgehauen und wir sind arm geblieben.“ Die umstehenden Arbeiter nicken. „Sag eurem Präsidenten, er soll Leute zum Reparieren hierher schicken.“

Jetzt schürfen und brechen sie weiter wie früher, rund 60 Tonnen Viehsalz fördern die Arbeiter pro Tag. Niemand wird davon reich. Händler verhökern das graue Gestein an die Rinderfarmer in den ugandischen Provinzen oder brettern mit ihren Pritschenlastern in den Kongo und nach Ruanda. Aber nur tagsüber. Und mit einer Kalaschnikow auf dem Beifahrersitz. Nach Einbruch der Dunkelheit fährt niemand mehr. Denn die Gegend gilt als „trouble area“, Rebellengebiet. Immer wieder tauchen Killerbanden aus den entlegenen Bergregionen im Grenzgebiet zum Kongo auf, zusammengewürfelt aus ehemaligen Hutu-Milizen aus Ruanda und Burundi, Kabila-Anhängern aus dem Kongo und ugandischen Gesetzlosen. Ihr Ziel, mit Terror unter der Zivilbevölkerung den ugandischen Staatspräsidenten Yoweri Museveni zu destabilisieren, ist politisch aussichtslos. Und für die Bevölkerung fatal.

Vor zwei Jahren kamen die Rebellen auch nach Katwe, erzählt Salzmanager Bwambale, „direkt zu den Salzgärten am See“. Nachdem sie die Magazine ihrer AK 47 leergeballert und mit ihren Macheten gewütet hatten, beerdigten die Menschen in Katwe zehn Tote. Warum auch Frauen und Kinder sterben mussten, wissen wahrscheinlich nicht einmal die Mörder. „Sie kommen, töten und gehen wieder”, so Bwambale. “Die wollen nur zeigen, das sie da sind.“ Seit die Rebellen im März letzten Jahres im Bwindi-Nationalpark 30 westliche Urlauber als Geiseln nahmen und acht Menschen umbrachten, macht auch der Tourismus in der Gegend, so Stadtsekretär Tibaijuka, nur noch „bad business“.

„Die Menschen hier müssen hungern“, sagt der Lokalpolitiker. „Dabei war Katwe mal ein reiches Handelsstädtchen. Früher, bevor der Park kam.“ Der „Queen Elizabeth Park“ ist ein staatlich geschütztes Revier mit Elefanten, Löwen und Hippos sowie Schlagbaumbarrieren und Kassenhäuschen an den Zufahrtstraßen, an denen die Wildlife-Touristen im Safari-Look ihre Dollar loswerden. Zur Freude des devisenhungrigen Staates und zum Leidwesen der Einwohner von Katwe. Sie leben eingekesselt in der Schutzzone. Das treibt die Preise in die Höhe. Lebensmittel und Zementsäcke, Fassbenzin und gebrauchte Toyota-Stoßdämpfer müssen aus anderen Distrikten herangekarrt werden. In Katwe kommen auf 10.000 Menschen gerade einmal vier Autos. Davon haben zwei keine Räder, bei einem weiteren gähnt unter der Motorhaube nur ein schwarzes Loch. „Wir sind von der Welt abgeschnitten“, klagt Tibaijuka, „der Park verhindert den Ausbau der Infrastruktur. Wir dürfen laut Gesetz keine Äcker bestellen. Kein Maniok, kein Mais, nichts dürfen wir anpflanzen. Das bisschen Grünzeug, das hier wächst, fressen die Elefanten weg. Die Löwen reißen unsere Rinder. Und wenn du einen abknallst, wanderst du für fünf Jahre ins Gefängnis.“

Weil auch der Bau neuer Straßen verboten ist, verwaist der Marktplatz in Katwe. Über die Schlaglochpisten mit den Hinweisschildern „Beware of elephants“ findet höchstens mal ein Händler mit einer Ladung Kochbananen den Weg in die Region. „Nicht mal Baumaterial kommt hier an“, verzweifelt der machtlose Stadtsekretär. Die Häuser verfallen, die Ziegel zerbröseln und die Wände schimmeln. Ursache trägt das Salz, das überall in der Luft hängt. „Gute Häuser mit stabilen Stahlträgern zu bauen“, erklärt David Tibaijuka, „ist hier sinnlos. Das Eisen rostet schneller als du gucken kannst.“

Und die Menschen? „Helle Haare“, sagt er knapp. „Die Salzarbeiter erkennst du sofort. Ihre schwarzen Haare bleichen aus. Die Leute sind alle krank.“ Unzählige, oft winzige Schnittwunden, verursacht durch die Salzkristalle, weiten sich aus zu Eiterherden, die einfach nicht heilen wollen. Schwefeldämpfe und stechende Fluorgase greifen die Lungen an. Männer, die über Jahre hinweg mit primitiven Holzflößen die Salzsteine aus in dem toxischen Solegebräu ziehen, kriegen, so Salzbrecher Mugisa Rorings, „problems with their private parts“. Ihre Geschlechtsteile sind chronisch entzündet. „Die Fehlgeburten bei den Frauen hängen sicher aus mit dem Salz zusammen“, schätzt Tibaijuka, „doch was sollen wir tun. Wir haben ja nicht mal einen Arzt.“

Neuerdings haben zwei Dutzend Frauen eine Kooperative gegründet um sich ein Stückchen Unabhängigkeit zu erkämpfen, vom Salz, vom Terror der Rebellen und vom Park. Um neue Einnahmequellen aufzutun haben eine Kooperative gegründet. In dem aufgeräumtesten Laden in Katwe verkaufen sie knallbunte Kleider, Hemden und T-Shirts, alles selbstgenäht unter dem eigenen Label „Sugarcane Design“. Die Frauen würden gern mehr produzieren. Doch weil sie nur drei Nähmaschinen besitzen, müssen sie weiter in den giftigen See steigen. Mit grimmigem Humor weisen sie darauf hin, dass am Lake Katwe die Gesetze vernünftigen Wirtschaftens völlig auf dem Kopf stehen. „Rate mal“, fragt eine, „woher das Speisesalz kommt, mit dem wir unser Essen kochen.“ Aus Katwe natürlich. „Nein, aus Kenia“.

Es stimmt, das Speisesalz, das an den Kiosken in Katwe zwischen warmer Cola, „Sportsman“-Zigaretten und „Protector“-Kondomen feilgeboten wird, stammt aus Mombasa am Indischen Ozean. Das Meersalz vom reicheren kenianischen Nachbarn ist trotz der weiten Transportwege billiger als das mühsam in den Salzteichen von Katwe abgeschöpfte Salz „No.1“.
Das kränkt den Stolz der Salzbrecher. „Sag mal ehrlich“, fragt der Arbeiter Steve, als er am späten Nachmittag weißverkrustet aus dem Lake Katwe steigt und seine Gummibandagen abwickelt. „Hast du einen solchen See irgendwo auf der Welt schon einmal gesehen.“ „Nein“, ist die Antwort, und Steve nickt anerkennend, doch gänzlich zufrieden scheint er nicht.
„Und in Kenia“, will er noch wissen, „haben die Leute in Kenia einen solchen See?“ „Aber nein, ganz gewiss nicht.“ Steve strahlt. Und ruft seinem Kumpel Mugisa zu: „Da soll noch mal irgend so ein Arsch behaupten, Uganda sei ein armes Land.“
Aus: SPIEGEL-Reporter