Erschienen in „Die Welt“ im November 2013
Und wieder fündig geworden! Hinter der Blechwand. Seite 318. In Andrzej Stasiuks letztem Roman lohnt sich die Schnüffelei. Rassismen, überall! Bei ihren Tingeltouren über die Märkte Osteuropas begegnen die Ramschkönige Pawel und Wladek „Zigeunerbanden, ganzen Familien von Dieben, Wahrsagern und Bettlern“. Nicht zu vergessen den feisten Clanboss, einen Kinder peitschenden Fettsack. Zudem erweisen sich in einem Shoppingcenter ausgerechnet die Ärmsten als „ideale Konsumenten“. „Die Zigeuner mussten vor kurzem ihre Stütze gekriegt haben“, sie gaben sofort alles aus und füllten ihre Wagen mit „süßem Siff“ und einer „Unmenge Kleinscheiß“.
Keine Frage. Stasiuk qualmt starken Tobak.
Ein Dutzend Bücher des gegenwärtig bedeutendsten polnischen Literaten hat Suhrkamp verlegt. Jedes habe ich aufgesogen, nicht wodkatrunken, doch berauscht von der poetischen Kraft und berührt von der Empathie für verlorene Helden. Vielleicht zieht es uns deshalb in den Osten. In dieselben welkenden Orte. Zu Menschen, die aus der Geschichte fallen. Zu den Zigeunern. Bewunderung für ihre Überlebenskultur schwingt mit, wenn Stasiuk in seinen Reiseskizzen Fado schreibt: „Die Zigeuner wollen sich einfach nehmen, was ihnen ihrer Meinung nach zusteht: Fremdes Eigentum ist, wenn es kein Eigentum von Zigeunern ist, im Grunde niemandes Eigentum.“
Mit solchen Sätzen wäre ein hiesiger Schriftsteller erledigt. Doch die Entrüstung bleibt aus. Das Bündnis gegen das Zigeunerschnitzel schweigt. Kein Eiferer klagt an und wirft Stasiuk im „Netz gegen Nazis“ vor, er heize rassistische Anfeindungen an. Der Verfasser dieser Zeilen weiß, wovon er redet. Weshalb ich bisweilen wünsche, Andrzej Stasiuk zu sein. Oder wenigstens den Hauch jener Souveränität zu spüren, die ihm gestattet, unbefangen von Zigeunern zu reden. Ich stelle es mir befreiend vor, nicht nur kein Rassist zu sein, sondern dies als deutscher Autor nicht auch noch mit jedem Satz beweisen zu müssen.
Im Frühjahr erschien mein Buch „Zigeuner – Begegnungen mit einem ungeliebten Volk“. Es folgten Kritiken in Presse, Funk und Fernsehen, von Kritikern, die allesamt blind waren. Die Buchtipps in TTT und FAZ, von der rechten Preußischen Allgemeinen bis hin zu den linken Verdi-News, selbst in der WELT, kein Rezensent hatte den niederträchtigen Kern dieses Buches erkannt. Den zu entblößen blieb dem Zentralrat deutscher Sinti und Roma vorbehalten. Genauer gesagt, dessen wissenschaftlicher Stimme. Herbert Heuß sah sich erinnert an die „Parolen rechtsradikaler Parteien“. Auf Spiegel-Online ließ er verlauten, wie Bauerdick „über Verwahrlosung, Diebstahl und Zwangsprostitution“ berichte, das sei „wirklich infam“. Damit war der Geist aus der Flasche.
Wenn die Polizei wie derzeit in Westfalen vor Banden von Trickdieben warnt, dann ist dies für den Zentralrat kein Anlass, dem eigenen Klientel die Leviten zu lesen. Wenn Roma-Zuhälter Tausende junger Frauen auf den Strich und in die Bordelle schicken, stellt sich kein einziger Funktionär schützend vor die Opfer. Und wenn in Paris der Louvre schließt, weil Scharen missbrauchter Kinder die Besucher beklauen, dann hat das nicht im Geringsten etwas mit jener Ethnie zu tun, für die Heuß als Nichtzigeuner spricht. Für den Zentralrat ist Kriminalität der Roma allein von Individuen zu verantworten. Kollektiv ist nur der Rassismus der Dominanzgesellschaft. Wer am puren Opferstatus der Roma rührt, der wird kurzerhand verortet im Erbe des nationalsozialistischen Rassenwahns.
Für Stasiuk sind die Zigeuner „ein Volk außerhalb der Zeit“, das lediglich „ein bißchen Zivilisationsmüll“ übernommen habe, ansonsten aber am „europäischen Kulturerbe“ nicht sonderlich interessiert sei. Solche Aussagen entflammen bei der Rassismuskritik gemeinhin den Feuereifer. Doch als Pole taugt er nicht, ihn im rechten Sumpf zu versenken. Weshalb er auch nicht auf der langen Liste der Dichter und Denker auftaucht, denen die Gesellschaft für Antiziganismusforschung in Marburg die intellektuelle Redlichkeit und persönliche Integrität abspricht.
Um auf dem Terrain der Sinti und Roma diskursive Hoheitsansprüche zu markieren, tummelt sich im Becken von Wikipedia ein gewisser Elektrofisch. Treu die Linie der Marburger Gesellschaft verfechtend, erklärt er unter dem Stichwort „Zigeuner“: „Bauerdick ist nicht weiter relevant“. Geschenkt. Aber warum vergeudet der Stromfisch dann einen üppigen Teil seiner Lebenszeit am Computer, um jedes noch so zarte Pflänzchen der Gewogenheit unter dem Eintrag „Bauerdick“ schon als Keim zu ersticken?
Während zwei Dutzend positive Besprechungen nicht den Weg in die freie Online-Enzyklopädie finden und die FAZ-Redakteurin Regina Mönch als „Wald-und-Wiesen-Journalistin“ abgemeiert wird, plustern anonyme Lobbyisten den Antifaschisten Michael Lausberg zum Experten auf, der so human ist, dass er in seinen Aufsätzen, etwa über den Anarchisten Bakunin, das heteronormative Wörtchen „man“ durch das geschlechtsneutrale „mensch“ ersetzt. Wenn man sich jedoch von dem antirassistischen Anti-Antiziganisten ins „Netz gegen Nazis“ gestellt sieht, dann ist es vorbei mit der Menschelei. Dann riecht es nach jenem „Dojczland“, das Stasiuk in seinem gleichnamigen Reisebuch nur mit einem veritablen Quantum Jim Beam erträgt.
Jedenfalls schrieb mir der freundliche Rupert Neudeck, die Rezension von Lausberg sei „so bescheuert“, dass er sie kaum habe zu Ende lesen können. Auch der Cap Anamur-Gründer geriet bereits ins Visier des Zentralrats. Als Neudeck im Kontext der Rückführung von Flüchtlingen von seiner Erfahrung sprach, die Roma im Kosovo würden „dazu neigen, eine besondere Behandlung für sich einzufordern“ und es für „ihr Recht halten, ein neues Haus gebaut zu bekommen“, warf Herbert Heuß ihm vor, die Roma-Minderheit pauschal zu Sündenböcken zu stigmatisieren.
Da wundert es nicht, dass die vernichtenden Kritiken von Heuß und Lausberg an meinen „Begegnungen“ auf Wikipedia gleich obenan stehen, die Stimme Neudecks jedoch nicht einmal im Nichts der Irrelevanz verhallt. In einer ausführlichen Empfehlung spricht Neudeck von einem „wichtigen Buch für uns Deutsche“, was „unser verquältes Verhältnis zu den Zigeunern“ betrifft. Nach weit mehr als einhundert Reisen zu den Zigeunern freut mich das gewogene Fazit des Menschenrechtlers natürlich sehr. „Es ist der Kampf eines Reporters darum, dass man diesem Volk nur helfen kann, wenn man es mag und liebt.“
Das sieht mensch auf „netz-gegen-nazis de.“ anders: „Seien es nun menschenverachtende Plakate der NPD, aufgebrachte Diskussionen bei Facebook oder Demonstrationen von Neonazis: Sinti und Roma stehen im Fokus rassistischer Anfeindungen. Befeuert werden diese noch durch Publikationen selbsternannter Experten wie Rolf Bauerdick.“
Dem Historiker Heuß indes scheint die Rolle des Taufpaten von Hetztiraden allmählich unangenehm zu werden. Seit wir im Thüringischen Schloss Ettersburg recht verträglich über mein Zigeunerbuch debattierten, leitet er neuerdings eine Kritik in Namen des Zentralrats mit dem Satz ein: „Rolf Bauerdick ist kein Rassist.“ Der Versuch, den Geist der Infamie zurück in die Flasche zu kriegen, mag edelmütig sein. Nur weshalb stellt mich Heuß bereits einen Absatz später in die Traditionslinie mit dem „Rassenhygieniker“ Hermann Arnold? Der einzige gemeinsame Nenner: Arnold spricht wie ich von Zigeunern. Wie auch Andrzej Stasiuk.
Was würde der Pole tun, wenn er ich wäre?
In wodka veritas! Vielleicht liegt im Trunk der Schlüssel zur Wahrheit. Und im Appell an den Leser. Schnüffeln Sie! Werden Sie fündig! Sollte jemand in den Maschen des Netzes gegen Nazis ein Zitat entdecken, das nicht bösartig alle Intentionen des Verfassers verdreht, dann würde derselbe sich erkenntlich zeigen. Mit einer feinen Flasche, schwarzgebrannt von Tzigani aus Siebenbürgen. Das wäre mir die Sache wert. Wenn ich Andrzej Stasiuk wäre.
PS: Elektrofisch postete nach dem Erscheinen des Essays auf seiner Diskussionsseite auf Wikipedia:
„Danke. Ich buche das unter Ermutigung. Bauerdick ist offensichtlich noch dümmer als gedacht. … auch geographisch und organisatorisch verbucht der mich in der falschen Ecke. … Übrigens ist Bauerdick auch dümmer als gedacht weil er mich nach Marburg steckt.“