Guatemala: Mythen der Maismenschen

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„Das Geld bringt
den Menschen kein Glück.“

Die trunkene Bruderschaft der Jungfrau Maria irrt durch die Gassen von San Juan Cotzal. Eine verbeulte Tuba, zwei dumpfe Trommeln und eine quietschende Trompete torkeln vorneweg. Auf dem hölzernen Podest auf den Schultern alter Indios schwankt der heilige Johannes, umringt von den „Torros“, den Träger der Stiermasken. Ihnen folgen die bärtigen und hellhäutigen „Conquistadores“, Indios in Phantasiekostümen der spanischen Eroberer. Drohend stochern sie mit ihren Blechsäbeln in die Lüfte. Doch wie die Sieger der Geschichte, die den Stier nach Lateinamerika brachten, das Schwert und die Bibel, sehen sie nicht aus, die Quiché-Indianer aus dem Hochland Guatemalas. Sie halten sich kaum auf den Beinen bei der Prozession zu Ehren ihres Dorfpatrons. Der Selbstgebrannte wirkt. „Diese elende Sauferei“, sagt Padre Frederico. „Viel zuviel Schnaps in viel zu leeren Bäuchen.“

Es ist Fiesta, und kein Mann ist nüchtern. In die Kirche sind die Männer der Bruderschaft gezogen, heimlich und ohne das Wissen des Padre. Entführt haben sie ihn, den heiligen Juan. Zu seiner Geliebten werden sie ihn schleppen, die in der Lehmhütte der Bruderschaft ausharrt. Denn in der Nacht, da Jesus verraten wurde und am Ölberg Blut schwitzte, so glauben die Indios ganz unbiblisch, soll der Apostel Johannes keineswegs für seinen Herrn gewacht haben. In die Büsche hat er sich geschlagen. Mit Maria Magdalena, die so heilig auch nicht gewesen sein soll. Zur Strafe wurden die beiden für alle Zeiten getrennt, nur einmal im Jahr ist ihnen ein Stündchen der Lust vergönnt. Als Holzfiguren liegen sie innig beieinander. Danach schwankt San Juan wieder auf seinen angestammten Sockel in die Pfarrkirche zurück. Irgendwo am Straßenrand schlafen seine Träger ihren Rausch aus.

„Die Menschen hier wollen vergessen“, sagt Padre Frederico. „Deshalb betrinken sie sich auf ihren religiösen Festen besinnungslos.“ Frederico, der deutsche Priester Friedrich Wübbolt, räumte 1989 seinen Schreibtisch bei einem kirchlichen Hilfswerk um in dem entlegenen guatemaltekischen Cotzal unter völlig verarmten Campesinos seinen Dienst zu tun. Eine unruhige Gegend. Denn in dem Rebellengebiet widersetzten sich die Quiché-Indianer der Sklaverei auf den Kaffeeplantagen der schwerreichen Großgrundbesitzer. Drei Mal rückte in den achtziger Jahren das Militär an und wütete unter der indigenen Zivilbevölkerung. Um den aufständischen Indios in den Bergen den Boden zu entziehen, hinterließ der Ex-Präsident Rios Montt im Gebiet der Quiche-Maya nach dem Prinzip der verbrannten Erde eine breite Spur aus Blut und Tränen. Die Soldaten verschleppten und massakrierten die Männer, schlugen Kinder tot, schnitten schwangeren Frauen die Föten aus dem Leib.

Über tausend Menschen wurden in Cotzal ermordet. „Heute ist Cotzal ein Dorf der Witwen und Waisen“, sagt Wübbolt. Nur mühsam kann die Weberin Maria Marroquin ihren Schmerz unterdrücken. Sie weint still, aus Trauer und auch aus stummer Wut. Nie wird sie den 4.Februar 1982 vergessen. „Es war die Zeit der Maisernte, und mein Mann Domingo war zum Schneiden auf die Felder gegangen. Unsere Tochter war gerade zehn Tage alt, als die Soldaten kamen. Sie fesselten meinen Mann, trieben ihn mit vielen anderen auf dem Dorfplatz zusammen und führten alle ab. Keiner von ihnen, darunter auch mein Vater, kam zurück.“

Die größte guatemaltekische Frauenorganisation CONAVIGUA, gegründet von Witwen, deren Männer vom Militär ermordet wurden, schätzt die Zahl der betroffenen Frauen landesweit auf 40.000, die Zahl der  Waisen auf 250.000. Allein im Norden des Bistums Quiché leben 3.000 Witwen und 10.000 vaterlose Kinder. Mitte der neunziger Jahre gedachten die Menschen in Cotzal ihrer Toten mit einem „Fest der Märtyrer“. Mit Kerzen, Weihrauch und mit Fotos der Toten zogen die Menschen an die Mordstätten, um die Seelen ihrer Angehörigen zurückzuholen. Ein symbolischer Sarg war mit Blumen und Hunderten von Kreuzen überladen. „Nach einer Prozession wurden die Seelen bestattet“, erzählt Wübbolt, „damit sie zur Ruhe kommen und die Verwandten mit ihnen in Verbindung treten können. Es war das bewegendste Erlebnis meines Lebens.“

„Alles hat man den Indianern hier genommen, ihr Land, ihre Freiheit, ihre politischen Rechte“, so Friedrich Wübbolt. „Da darf ihnen die Kirche nicht auch noch ihre religiösen Riten nehmen.“ Jahrhundertelang wurde nach Geheiß aus Rom Lateinamerika alles weggepredigt und verteufelt, was an Bräuchen und Frömmigkeitsriten nach Heidentum roch. Doch den argwöhnischen Blick der Wächter katholischer Rechtgläubigkeit teilt Wübbolt nicht. „Das Mysterium ihres Glaubens ist das einzige, was die Bauern hier haben.“

Das Unrecht dauert fort. Zwar wurde im Oktober letzten Jahres das Friedensabkommens zwischen der guatemaltekischen Regierung und der Guerilla besiegelt, zwar verschwinden die Soldaten, doch der gnadenlose Krieg der Armut bleibt. Die großen Landbesitzer, die Finqueros, die 98 Prozent der Ländereien besitzen, können sich zum Schutz ihres Privateigentums auf eine Verfassung berufen, die von einer sozialen Verpflichtung des Besitzenden nichts wissen will. Darauf reagierten die katholischen Bischöfe Guatemalas schon vor Jahren. Zum Argwohn der Großgrundbesitzer gaben sie mit ihrem kämpferischen Hirtenbrief „Schrei nach Land“ den Nöten der Indianer eine Stimme und prangerten an, dass „die Strukturen des Landbesitzes in Guatemala zu den ungerechtesten in ganz Lateinamerika gehören“.

„Das Land ist Eigentum aller, weil es Eigentum Gottes ist“, fordern die guatemaltekischen Bischöfe. Die Wirklichkeit freilich sieht anders aus. So zählen die schwerreichen Besitzer der größten Kaffeefinca „San Francisco“ im Bistum Quiché allein 111 Caballerias von je 45 Hektar ihr eigen. 3.000 Campesinos verdingen sich hier, zur Erntezeit kommen 5.000 Saisonarbeiter hinzu. „Die Menschen leben dort wie zu Sklavenzeiten“, klagt Padre Frederico. Der Arbeiter Lohn: drei DM pro Tag.

Das reicht kaum für das wichtigste Grundnahrungsmittel: Mais. Der gilt als heilige Nahrung. Denn nach dem „Popol Vuh“, dem Schöpfungsmythos der Maya, formten die himmelsgewaltigen Götter den ersten Menschen aus Mais, um ihm Verstand und Seele zu verleihen. Wer mit dem Mais Geschäfte macht, beleidigt nach indigenem Glauben die Götter, begeht Verrat an der heiligen Erde. Dagegen kämpft der weise Maya-Schamane Pedro Pascadiaz Chechewak. Es ist ein stiller Kampf, unspektakulär, leise und voller religiöser Inbrunst, gegen die Habgier, den Hass, die Macht des Geldes. Jeden Tag erklimmt der Achtzigjährige den Gebetshügel Paclóm in seinem Heimatdorf Momostenango. Dort erweist er dem Dominus mundi, dem Gott der Welt, mit einem Rauchopfer die Ehre. Für die Steine, die Felsen und die Mutter Erde verbrennt er wohlriechendes Kopalharz, dessen Rauch seine Gebete in dem Himmel trägt.

„Die Sünde kam auf die Erde“, sagt Pedro, „als die Menschen anfingen, den Wald zu roden, um den heiligen Mais der Erde gegen das Geld der Banken zu tauschen.“ Es war ein ungleicher Kampf. Die Pietät der Indios unterlag dem Profitstreben der nordamerikanischen Fruit-Companies. Den verzweifelten Hütern der heiligen Erde hat Miguel Asturias in seinem weltberühmten Roman „Die Maismenschen“ ein literarisches Denkmal gesetzt.

Die bitterarmen „Hombres de maíz“ pilgern noch heute in den heiligen Ort Chichicastenango. 1540 errichteten Dominikaner hier auf den Stufen eines Maya-Tempels die Kolonialkirche Santo Tomás, in der die Cakchiquel-Indianer an den Markttagen, unter den neugierigen Blicken einer anschwellenden Touristenflut, ihre Gottesdienste abhalten und Maisopfer für eine gute Ernte darbringen. Im weihrauchvernebelten Kirchenschiff flackern auf flachen Opfertischen Kerzen für die verschiedensten Sorgen und Nöte. Frauen opfern Maisbier für eine glückliche Heirat. Alkoholkranke verspritzen Chiricuta, billigsten Weinfusel, wobei die Männer von San Pedro, die Frauen von Sancta Anna Genesung von ihrer Sucht erbitten. Und besorgte Mütter erkrankter Kinder rufen den heiligen Martin an. Denn Ärzte genießen nur wenig Vertrauen. Dass dieses Misstrauen bis in die letzten Seelenzipfel reicht, verrät ein Gebetbuch. Den Eltern kranker Kinder wird ein eigentümliches Opfer empfohlen. Bei einer Gabe aus weißen Kerzen, Schnaps und Blumenblüten sorgt der heilige Simón dafür, dass kranke Kinder „nicht von weißhäutigen Ärzten zu Tode gepflegt werden“.

„Das Misstrauen gegen die Weißen ist verständlich“, sagt der katholische Cakichiquel-Pfarrer Rufino Christobal. „Verhängnisvoller jedoch wirkt sich aus, wenn mit diesem Misstrauen unser Vertrauen in die eigene Kraft schwindet. Denn immer sind es Mächte von Außen, die das Leben bestimmen, der Fluch der Feinde, der Hass der Nachbarn, die Magie der Zauberer. Doch anstatt selbstbewusst die Probleme zu meistern, müssen Zauberer und muss Maximón herhalten.“

So hofft die achtzehnjährige Isabel Tzichacap, ein dunkler magischer Schatten möge endlich von ihrer Familie weichen. Ohne das Wissen ihres Mannes hat sie monatelang gespart. Denn sechzig Quetzales, mehr als einen Wochenlohn, verlangen die Brujos in Zunil für ihre halbstündige Quemada, eine Beschwörungszeremonie. Isabel macht sich Sorgen um ihren Mann Manuel und die beiden Kinder. Ihr Verkaufskiosk in der Stadt Retalhuleu wirft einfach keinen Gewinn ab. „Niemand kauft bei uns ein“, sagt sie und glaubt: „Es liegt ein böser Fluch über dem Laden.“ Ein Rauchopfer für den Heiligen San Simón aus Kopal, Salz, Eiern, und grünen Kerzen soll den Bann lösen.

Lucretia Valladares ist Wahrsagerin, Kultpriesterin und Tempeldienerin des kuriosen Maximón-Kultes in Itzapa. Ihr Herr, der heilige Simón, ist keineswegs ein frommer Heiliger. Seine Kapelle gleicht eher einem Hexenkessel denn einem beschaulichen Kirchlein. Die Gluthitze unter dem russschwarzen Gewölbe treibt den Schweiß aus den Poren, raubt die Luft zum Atmen. Von den steinernen Altartischen tropft das heiße Wachs unzähliger Opferkerzen. In die schwere Weihrauchsüße des glimmenden Kopalharzes mischt sich der beißende Qualm brennender Zigarren. Maya-Indianerinnen inhalieren den Rauch der riesigen Puros. Manche bis an den Rand der Besinnungslosigkeit. Eine junge Frau in der Tracht der Cakchiquel-Indios raucht ihre siebte, vielleicht achte oder neunte Puro. „Sie reinigt sich nicht nur von den Männern“, flüstert Lucretia, „sie bittet auch um Schutz vor betrunkenen und gewalttätigen Freiern.“

„Heiliger Simón, schau auf mich! Bruder Simón, sieh meine Reue! Erhör mein Gebet!“ Immer mehr Gläubige drängen in das Innere des Heiligtums. Immer flehender werden die Rufe, immer inbrünstiger die Gesänge, immer fordernder die Bitten. Alle ersehnen ein Wunder: landlose Campesinos und alleinstehende Mütter, arbeitslose Kaffeepflücker und erfolglose Kleinkrämer, verlassene Ehefrauen und verachtete Huren. Sie alle hängen ihre Hoffnung an San Simón, der in Guatemala und mancherorts im Süden Mexikos von den Nachfahren der alten Maya verehrt wird. Hunderte von Votivtafeln in Itzapa bekunden, der seltsame Herr ist Tröster und Beschützer, Retter, Heiler und Segenspender.
 
Gleich einer Schaufensterpuppe, im schwarzen Anzug, mit schwarzem Schlips und schwarzem Schnauzbart gemahnt der Simón von Itzapa jedoch weniger an einen Heiligen der Mutter Kirche als an einen abgerissenen Mafiosi aus dem Halbweltmilieu. Seinen Kollegen im Dorf Zunil kleidet die indianische Bruderschaft der Cofrades je nach Laune auch schon mal mit einem weißen Schneeanzug und dunkler Sonnenbrille ein. Ständig glost die Zigarre zwischen seinen hölzernen Lippen. Eimerweise füllen ihn die Indianer als Opfergabe mit hochprozentigem Drago ab. Der Schnaps sammelt sich in einem hohlen Blechtank im Bauche der Puppe.
 
„Der Drago ist wichtig für die innere Reinigung“, erklärt Lucretia Valladares. „Ohne vorherige Reinigung kann San Simón seine Macht nicht entfalten.“ Mit dem Beistand Simóns legt die Vierzigjährige ratsuchenden Frauen die Karten, liest in den Linien der Hände, blickt in Vergangenheit und Zukunft. „Will jemand nur die schönen Dinge hören“, sagt sie, „dann sehe ich nur neue Liebe, Wohlstand und ersehntes Glück.“ Ansonsten warnt sie vor schleichenden Krankheiten, rät ab von windigen Liebschaften, ermutigt zum Bruch mit treulosen Ehemännern.

Vor allem aber bannt Lucretia „die bösen Mächte der Brujos“. Es sind dunkle Mächte, wie sie „die Zauberer in den Bergen von Toliman unter den Menschen verbreiten“. Sie beherrschen die schwarzmagische Kunst, die Menschen zu verhexen, vorzugsweise, indem sie die Willenskraft gegen den Alkohol schwächen. „Sie haben auch meinen Ehemann auf dem Gewissen“, behauptet Lucretia. Heute kämpft die Priesterin gegen den Einfluss der Schnapsgeister. Vom Drago besessene Männer übergießt sie mit Bier, spuckt ihnen scharfen Alkohol ins Gesicht und reibt sie mit Heilkräutern ab.

Mit Unverständnis und bisweilen auch mit Argwohn werden solche Riten von manchen katholischen Pfarrern beäugt. Vor allem, wenn die Indianer zu den Prozessionen an den katholischen Feiertagen ihren Simón im Pulk mit den Heiligen der Kirche durch die Straßen tragen. Der trinkende Zigarrenraucher Simón scheint nicht recht in die Gesellschaft des ehrwürdigen San Pedro, des heiligen Juan oder des Märtyrers Sebastian zu passen, geschweige denn an die Seite der in Guatemala hochverehrten Jungfrau Maria. Denn in der der Heimat der Maismenschen, in dem geheimnisvollen Land der Maya, Mythen und Mysterien wird San Simón mit einer gemeinhin verachteten Person identifiziert: mit dem Jesusjünger Judas.

Einer von vielen Legenden nach verdankt sich der Kult um San Simón der Abwehr eines religiösen Brauches, den die spanischen Schwert- und Bibel-Konquistadoren nach Mittelamerika brachten. Stets am Karsamstag hängten sie strohgefüllte Judaspuppen an einen Galgen und setzten Scheiterhaufen in Brand. Sie führten damit den zwangsmissionierten Indianern jenes Schicksal vor Augen, das Abtrünnigen und Abweichlern von der christlichen Lehre drohte. Das Prinzip der Abschreckung jedoch funktionierte nicht. Im Gegenteil. Die Indigenas identifizierten sich mit dem geschmähten Jünger, zu stillem Widerstand gegen die pervertierte Religion ihrer Unterdrücker.
 
Daher ist Judas für die indigenen Ureinwohner Guatemalas auch nicht der Verräter Jesu. „Judas war ein Ausgestoßener, genau wie die Menschen hier“, sagt der Zauberer und Heiler Jeronime Perez aus Almolonga. „Deshalb ist San Simón unser Verbündeter, unser Bruder.“ Die Gründe der Verbrüderung wurzeln tief in der unheilvollen Geschichte der Maya-Völker, einer Geschichte, in der es immer fremde Mächte waren, die das Leben und Schicksal der Menschen bestimmten. Alles in Guatemala, die Menschen, die Landschaft, die Dinge, schrieb der 1974 verstorbene Träger des Literaturnobelpreises Miguel Asturias „schwebt in einem surrealistischen Klima von Wahnsinn und übereinanderliegenden Bildern“. Oft sind es Schreckensbilder von Ausbeutung, Unterdrückung und Verzweiflung, Visionen, die in Menschen aufsteigen, die nahezu rechtlos leben. Und das seit fünfhundert Jahren, in einem traumhaft schönen Land, in dem nicht einmal jeder zweite Einwohner lesen und schreiben kann.

Der Hang der Campesinos zum Mystizismus und zum magischen Wunderglauben mancherorts von reichen Zauberern und Bruderschaften regelrecht geschürt. In Santiago, einem Dorf der Tzutuhil-Indianer am traumhaft idyllischen Atitlan-See, haben die Cofrades allerdings eine Einnahmequelle entdeckt, die weitaus lukrativere Gewinne verspricht als die paar Quetzales der armen Bauern. Es sind die Gringos, zumeist Touristen aus Nordamerika, die für die Erzählungen der Wundertaten des San Simón harte Dollar springen lassen. Fotos kosten extra. Als Gabe für den Wundertäter, versteht sich. Denn gratis gibt es bei San Simón gar nichts.

„Nein, nein“ widerspricht der weise Maya-Schamane Pedro Pascadiaz Chechewak. „San Simón ist nicht gierig und er will auch kein Geld. San Simón ist ein guter Gott, nur manche Priester sind es nicht.“ Dass Pedro Pascadiaz lebt, was er sagt, zeigt sich, als unvermittelt ein Gringo in seinem Dorf auftaucht. Der Tourist stöhnt über heftige Schmerzen seiner rechten, übel geschwollenen Hand. Eine halbe Stunde braucht der alte Mann für seine Heilungszeremonie. Zum grenzenlosen Erstaunen des Gepeinigten ist die Schwellung restlos verschwunden. Die Hand lässt sich wieder völlig normal bewegen. „Quantos Dollares“, fragt der Weiße den Indianer. Doch Pedro winkt freundlich ab: „Las uns nur eine kleine Erfrischung nehmen. Einen kleinen Drago vielleicht. Deine Dollars behalte lieber. Denn das Geld, glaube mir, es bringt den Menschen kein Glück.“
 
Ganz so Unrecht hat der Alte nicht. „Denn das Geld zerstört“, da ist sich Pedro sicher, „die comunidad“. Comunidad meint nach der religiösen Vision der Maya-Indianer die Grundlage des Lebens, und die umschließt nicht nur die Gemeinschaft aller Menschen, sondern die kosmologische Urverbundenheit, den Urgrund alles Lebendigen. „Stirbt die Comunidad“, so hat auch der deutsche Padre Frederico erfahren, „zerreißt das Band, das die Menschen eint. Das ist das Ende der Solidarität im Kampf für ein Leben in Freiheit und Würde. Deshalb haben die Staatsdiktaturen in Mittelamerika alles daran gesetzt, die Mythen und Bräuche der Indianer zu zerstören.“ Wo die Gräuel des Völkermordes nicht zum Ziel führten, verfiel man auf eine unblutige, aber erfolgreichere Strategie. Die Rituale der Indios erscheinen heute auf Hochglanzprospekten: als folkloristische Attraktion.

In Chichicastenango, einem der heiligsten Orte der guatemaltekischen Indios, hat der Tourismus gesiegt. Zwar pilgern noch immer Tausende von Quiché-Indianern zur Kirche Santo Tomás, doch die Einheimischen sind bei ihren Costumbres, ihren religiösen Bräuchen und Zeremonien, nicht mehr allein. Stets surren die Videokameras. Der Rauch des Kopalharzes, der die Gebete zum Himmel tragen soll, weht immer weniger zur höheren Ehre Gottes, sondern für die Fotomotive der Touristen. Mit Bussen werden die weißhäutigen Gringos angekarrt, um ihr Bedürfnis nach Mythen und Mysterien zu stillen. Mit ihren Bermudashorts latschen sie zwischen den vom staatlichen Touristenamt bezahlten Weihrauchschwenkern in indigener Tracht umher. Noch sind die Gebete der Alten zu vernehmen, leise und still. Doch immer lauter werden die Zwischenrufe: „How interesting. It’s great. It’s magic.“