Kenia: In den Nacht-Clubs von Mombasa

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Zwischen Casablanca,
Florida
und Bora-Bora

Die ersten Mädchen treibt es schon am frühen Abend ins „Cheers“. Die Augen hinter verspiegelten Sonnenbrillen sitzen sie auf ihren Barhockern und nippen gelangweilt an ihrer Cola. Die Männer in den Bermudashorts sind noch nicht in Stimmung. Ist noch zu früh. Die Zahl der weggeputzten „Tusker“-Pils ist noch überschaubar, der Promillepegel liegt noch diesseits aller Hemmschwellen. Nur ein paar bleiche Touristen mit Dauerfreundin sitzen schweigend neben ihrer dunkelhäutigen Urlaubsbekanntschaft, halten Händchen und sagen manchmal Sätze wie „Have you auch schon wieder Hunger.“ Ein Tätowierter mit martialischem Getier auf den Oberarmen rafft sich regelmäßig auf und schlurft von der Bar zum Pissoir. Bevor er das Wasser seiner vielen Bierchen abschlägt, raunt er seiner zwanzig Jahre jüngeren Begleiterin zu: „I come gleich back.“ Sie lächelt. Und sie wird warten. So wie alle warten, auf die rettende Nacht, die über alle Sprachlosigkeiten hinwegtäuschen wird. Dann dröhnen deutsche Schlager aus den Boxen. Und wenn der Disc-Jockey endlich „Weiß der Geier oder weiß er nicht, scheißegal ich liebe dich“ auflegt, dann klingen die gegrölten Liebesschwüre wie Schlachtrufe an der Front der deutsch-kenianischen Völkerverständigung. Dann wird den Frauen ihr Bacardi spendiert, und weiße Hände legen sich um schwarzbraune Schultern.

  „Welcome to Africa.“ Neben dem Strandclub „Cheers“ ist nachts Showtime im „Bora-Bora“, laut Reiseführer Kenia „die beste Disco“ in der Hafenstadt Mombasa. Einen erotischen Trip ins Herz des schwarzen Kontinent verspricht der deutsche Manager, ein bulliger Schnauzbart mit rasiertem Schädel, Glitzerstein im Ohr und dem Spruch auf der Brust: „Liebe ist, wenn du Spaß hast.“ Dann ruft die Trommel, und die Tänzerinnen und Tänzer kommen, allesamt wirklich gute Akrobaten, die in ihrem schweißtreibenden Job ihr letztes geben. Sie nennen sich „Black Diamonds“ oder „Dschungel Jets“. Die Männer kämpfen mit imaginären Löwen und die Frauen tragen Leoparden-Tangas. Manche haben Bananen um die Hüfte. Natürlich fehlen nicht Tarzan und Jane, und eine Videokassette von der Show kann man auch kaufen. Doch so rechte Stimmung will im „Bora-Bora“ heute Nacht nicht aufkommen. Zu viele Amerikaner da. Und die tanzen alle mit der eigenen Ehefrau. „Lass uns lieber ins Tembo gehen“, schlägt Emily vor. „Oder ins Florida. Da ist mehr los.“

  Emily ist selbständige „business-woman“. So nennen sich die Frauen und Mädchen in dem Geschäft, bei dem die einen das Geld haben und die anderen nichts als ihren Körper, ihr Lächeln und ihre Tricks. Ich traf Emily im Zentrum Mombasas. Genauer gesagt, sie hatte mich als potentiellen Geschäftspartner ausgeguckt. Gerade in der kenianischen Hafenstadt angekommen saß ich vielleicht fünf Minuten auf einem der wackligen blauen Plastikstühle in der „Skybar“. Der Kellner hatte das kalte Bier noch nicht gebracht, und auf den Videomonitoren an den Wänden jagte Robert de Niro als durchgeknallter Taxi-driver durch New York. Dann kam sie in die Bar geschneit. Ein kurzer abcheckender Blick und schon stand sie an meinem Tisch, auf Plateauschuhen so hoch wie zwei Ziegelsteine und im bauchnabelfreien T-Shirt-Imitat, auf dem die Buchstaben „Tommy Hilfiger“ abblätterten.

  „Zigarette?“ Okay. „Feuer?“ Okay. „What´s your name? Wo kommst du her? Was machst du in Mombasa? Krieg ich ein Bier?“ Nein, kriegst du nicht. Doch Emily ist hartnäckig. Und clever. Sie weiß, jedes „Nein“ als Antwort ist immer noch besser als gar keine Antwort oder das schlichte Wort „Verschwinde“. Der Kellner stellt mein Tusker ab. „Sicher auch ein Bier für die Lady?“ Na gut, eins für die Lady. Emily strahlt. Ihr Gesicht verrät, dass die Dame noch ein halbes Kind ist. Und dann sitzt sie mir gegenüber. „Ich werde dir Gesellschaft leisten. Not for fucking just for talking“. Na gut. Wir werden reden. Eine Woche lang wird Emily Wangui meine Reiseführerin durch die Lokalitäten des Business, durch Stranddiscos, Hafenkneipen und Clubs, von denen die 18-jährige gehofft hat: „Hier ist das Leben besser als dort, wo ich herkomme.“

  Weil sie das Meer sehen wollte, sei sie vor drei Monaten nach Mombasa gekommen, geboren und aufgewachsen sei sie mit fünf Geschwistern in Nairobi, bei ihren Großeltern, erzählt Emily und zündet sich eine Embassy an, obwohl noch eine Zigarette im Aschenbecher glimmt. An ihre Eltern habe sie keine Erinnerung mehr. Ihre Mutter sei kurz nach ihrer Geburt an Magenkrebs gestorben, und von ihrem Vater wisse sie nur, dass er bei einem Streit unter Nachbarn ermordet worden sei. Das jedenfalls habe ihr die Großmutter erzählt, von der auch das Amulett um ihren Hals stamme: ein hölzerner Delfin an einem Lederbändchen. Ja, und die Armbanduhr mit dem herzförmigen Ziffernblatt habe sie sich von ihrem eigenen Geld gekauft, weil ein Fotograf Bilder von ihr gemacht habe. „Der sprach mich nachts an und wollte Fotos für ein Magazin haben. Ich wollte das nicht, weil es für so ein Sex-Heft war“, sie „Als er mir aber 30.000 Schillinge bot, habe ich ja gesagt.“ Und was waren das für Fotos, für die jemand fast tausend Mark bezahlt? „Ich habe mich vor einen Baum gestellt und gelächelt, und er hat ein paar Bilder geknipst. Das war alles.“ Waren das Nacktaufnahmen? Emily schaut mich entgeistert an: „Bist du verrückt!“

  Mein wohl etwas ungläubiger Blick ob ihrer Geschichte ist Emily nicht entgangen. Sie bittet um sechzig Schillinge. Wofür? „Für eine Zeitung.“ Zehn Minuten später kommt sie zurück, in der Hand die neueste Ausgabe des Blattes „Life seen“, eine muffig biedere Sex-Postille, die in ganz Ostafrika an allen Straßenecken verkauft wird. Auf dem Titelfoto lacht Emily Wangui, recht züchtig im roten Minirock angeblitzt vor grünem Buschwerk. Die Redakteure haben ihr eine Sprechblase in den Mund gelegt, in der das ahnungslose Cover-Girl für Frauen Sex-Spielzeuge aus Gummi empfiehlt, „um sich zu selbst befriedigen und um Aids zu vermeiden.“ Meine Frage, wie sie das Heft findet, übergeht Emily. „Ich hab es nur gekauft, damit du mir glaubst.“ Dann nippt sie an ihrem Bier und nimmt eine neue Zigarette. „Lass uns ins Casablanca gehen. Dort kann man tanzen. Vielleicht treffen wir dort auch Sarah.“ Wer ist Sarah? „Meine Schwester.“ Und was macht sie hier? „Business.“

  Sarah, zwei Jahre älter als Emily, lebt schon länger in Mombasa. Wir treffen sie neben dem Dancefloor im „Casablanca“, doch sie ist kaum mehr in der Lage ihre Schwester zu erkennen. Mit glasigen Augen döst sie ins Leere, bedröhnt vom Alkohol oder vom Brown Sugar oder von beidem. Sarah kann sich kaum mehr auf ihren Beinen halten. Immer wieder torkelt sie und stürzt zu Boden. „Ich muss sie nach Hause bringen“, sagt Emily. „Sie kann einfach nicht so gut auf sich selber aufpassen.“ Dann ruft sie David, den Taxifahrer ihres Vertrauens. Er steht meistens vorm „Casablanca“, wo er auf weiße Fahrgäste wartet, die mit ihren Mädchen in den Clubs an der Küste die Nächte durchmachen wollen. Diese Nacht jedenfalls ist für Sarah und Emily zu Ende. David fährt die beiden ins „Rembo“, in eine der zahlreichen billigen Absteigen in Mombasa, in der Sarah bis zum nächsten Nachmittag durchschlafen wird.

  Etwa dreißig Frauen wohnen im „Rembo“. Alle zwischen 18 und 25 und alle ohne Job. Emilys Freundin Khadijah stammt aus Somalia. Ihre Eltern leben in einem Flüchtlingslager, sie schlägt sich in Mombasa durch, genau wie Emily, Messie und Chrissy, die alle irgendwie Emilys „beste Freundinnen“ sind. Tagsüber schlafen sie, nachts verrammeln sie ihre schäbigen Zimmer mit dicken eisernen Vorhängeschlössern, damit ihnen niemand ihre letzten Habseligkeiten aus der Reisetasche klaut. Zwölf Mark muss Emily jeden Morgen bezahlen, für einen tristen Raum mit Bett und Nachtschränkchen und dem vergitterten Blick auf die Lüftungsschächte im Innenhof. „Wenn du zwei Tage mit der Miete im Verzug bist drückt der Manager noch ein Auge zu“, sagt sie, „wer jedoch am dritten Tag nicht bezahlen kann fliegt raus.“ Doch die 400 Kenia-Schillinge Zimmermiete wollen erst einmal erwirtschaftet sein. Hinzukommt das Geld für das tägliche Essen, für zwei, drei Schachteln Embassy, für Drinks um in Stimmung zu kommen und für die Taxis ins „Mamba“, „Tembo“ oder ins „Florida“. Macht zusammen 2000 Schillinge, gut 25 Mark. Das ist der Preis, den Emily von einem Kunden nimmt.

  Etwa 10.000 Mädchen und Frauen leben in Mombasa vom Business, schätzt Agnes Mailu. Mit großem Respekt spricht sie von den Frauen, die den Beruf des „comercial sex workers“ ausüben. Niemals redet die 34-jährige von Prostituierten. Das verbietet ihr die Achtung vor Menschen „die nichts haben als sich selbst und ihre Träume“. Und mit denen hat Frau Mailu tagtäglich zu tun, als Leiterin von „Solwodi“ (Solidarity with women in distress) in Mombasa, einer Organisation, in der in Not geratene Sexualarbeiterinnen offene Türen und Hilfe finden. „Sexualität ist ein Geschenk“, sagt Agnes, eine bekennende Christin, die mit leiblicher Fülle ebenso gesegnet ist wie mit einem warmherzigen Gemüt: „Gott gab den Menschen das Gehirn zum Denken, die Hände zum Arbeiten und den Sex zur Freude an der Liebe. Nur sind hier zu viele Frauen gezwungen, dieses Geschenk zu verschleudern. Und was das Schlimmste ist, dafür werden sie von Allen verachtet.“

  Die soziale Ächtung der Sexual-worker ist quasi schon im Gesetzbuch festgeschrieben. Prostitution ist in Kenia verboten. Ein kurioses Gesetz, dass noch aus englischen Kolonialzeiten stammt, verbietet das „Herumtreiben zu unmoralischen Zwecken“. Es ist ein Gesetz allein gegen die Frauen, eine staatlich geduldete Form der Erpressung. Kein Polizist würde in Kenia einen Mann festnehmen, der sich nachts in den Straßen nach einer Frau umschaut. Bei den Mädchen aus dem „Rembo“ dagegen gehören Verhaftungen zum Geschäft. „Um wieder frei zu kommen müssen sich die Frauen schuldig bekennen und zahlen“, weiß Frau Mailu, „wer sich für unschuldig hält wartet tagelang in der Arrestzelle.“ Emily Wangui wurde bereits drei Mal eingesperrt, „weil ich nachts betrunken durch die Stadt ging“. Jedes Mal wollten die Beamten Schillinge sehen, umgerechnet zwischen 80 und 250 Mark. Ihre somalische Freundin Khadijah und Taxifahrer David kauften Emily frei.

  Es ist Nachmittag, und wir sitzen in einem ruhigen Café in der Moi Avenue. Emily bestellt die dritte Dose ihres Lieblingsgetränks: Mango-Fruchtsaft. Alkohol trinke sie nur abends, sagt sie, „weil es dann leichter ist Männer anzumachen.“ Und wenn sie so spricht, dann redet nicht mehr das Club-Girl aus dem „Florida“ sondern das 18-jährige Mädchen aus einem Slum in Nairobi, dass glaubt, Europa sei ein Land neben Deutschland. Im Lichte des Tages ist Emily das Kind, das staunend durch das Museum des historischen „Fort Jesus“ läuft, unbedingt vor einem Prinzessinnen-Thron fotografiert werden möchte und vor dem Skelett eines portugiesischen Soldaten erschaudert. Und dasselbe Mädchen, das gerade noch brennende Zigarettenkippen in einen Krokodilteich wirft, um zu gucken, „ob die Viecher das fressen“, sagt ein paar Minuten später den Satz: „I hate to be fucked.“

  Manche Mädchen hätten am Tag drei oder vier Männer, erzählt sie. „Aber die sehen alle ziemlich fertig aus. Das will ich nicht. Wenn ich nicht dringend Geld bräuchte, glaub mir, keiner dürfte mich anfassen.“ Allerdings seien von allen Kunden die Deutschen und die Amerikaner noch am erträglichsten. „Die machen keinen Ärger und sind oft schon mit einer Massage zufrieden.“ Am übelsten findet sie die Russen, die im besoffenen Kopf „immer prügeln wollen“. Und Italiener. Mit denen will Emily nichts zu tun haben, seit einmal einer von ihr reichlich perverses Zeug verlangte. „Hau ab, habe ich dem gesagt.“

  Diesen Satz können sich viele Frauen nicht leisten. All jene, die sich in den billigen Bars in den Hinterhöfen Mombasas verdingen, in die sich niemals ein Tourist verirrt. Etwa im „Silent House“, wo die Frauen in düsteren Treppenaufgängen auf den Fensterbänken sitzen und auf Freier warten. An diesem abgrundtief traurigen Ort sind die Preise so niedrig, „dass die Frauen viele Männer brauchen, um überleben zu können“, sagt Francis Kashonga. „Vor allem die älteren lassen für fünfzig Schillinge jeden Kerl an sich heran. Wenn sie nicht verhungern wollen, müssen sie alles mit sich machen lassen. Natürlich ohne Kondom.“

  Bei dem 47-jährigen Arzt landen jene Sexual-worker, die ihr Beruf auch körperlich zerstört. Francis Kashonga ist Chef der Ganjoni-Klinik für „Sexual transmitted diseases“, für Geschlechtskrankheiten. Die sind mit Medikamenten in den Griff zu bekommen. Die Krankheit Aids allerdings nicht. Von den Frauen, die im Jahr 2001 in der Klinik freiwillig einen Bluttest machen ließen, waren 47 Prozent HIV-positiv. Doch der Mediziner schätzt die Zahl der Infizierten auf mindestens 55 Prozent, weil die Frauen auf den untersten Stufen des Business oft gar nicht den Weg zum Arzt finden. Doch Dr. Kashongo weiß, dass die Frauen mehr brauchen als eine Packung Kondome oder ein paar Tabletten gegen Tripper und Syphilis. Deshalb sucht er die Kooperation mit den Sozialarbeiterinnen von „Solwodi“. „Ich habe keine Prostituierte getroffen, die nicht eine Alternative zu ihrem Leben sucht.“

  Die Mädchen aus den Touristenclubs jedoch, so die Erfahrung der „Solwodi“-Sozialarbeiterin Elisabeth, „erreichen wir nur schwer. Sie sind jung und hübsch, und einige verdienen ja auch ganz gut. Aber sie alle träumen doch nur von dem einen Menschen, der sie liebt und der sie mitnimmt, nach Europa oder nach Amerika.“ Doch es sind zu viele Mädchen. Und zu viele Träume. Und die zerbrechen jede Nacht zwischen drei und vier in den Discotheken am Indischen Ozean. Dann ist die triste Stunde der Übriggebliebenen, in der die Nacht ihre Opfer frisst. Die Nacht raubt die Kraft, die Energie, den Lebensmut. Dann sterben Hoffnungen und Sehnsüchte und zurück bleibt nur die bleischwere Müdigkeit, das verschmierte Make-up und der unsäglich leere Blick.

  „Hier triffst du heute nacht die schönsten Frauen der Welt“ sagt Uwe Kershek, der deutsche Manager des Nachtclubs „Florida“. Es ist Sonntagnachmittag. Wir stehen an der Bar und der Mittfünfziger lässt sich von seinen schwarzen Angestellten ein neues „Tusker“ servieren. Dann raunt er mir zu: „Das beste an den Mädchen hier ist, sind alles keine Nutten.“ Emily interessiert nicht, was der deutsche Geschäftsführer erzählt. Sie hat ihr Glas mit Mango-Juice genommen und ist an einen der stillsten Plätze des „Florida“ gegangen. Ein Platz unter Palmen, von dem man tagsüber weit auf den Indischen Ozean hinausschauen kann. Ein großes Containerschiff aus dem Hafen von Mombasa zieht vorbei. „Weißt du, wo das hinfährt“, fragt sie. Keine Ahnung. Vielleicht nach Arabien oder Indien. Vielleicht sogar nach Europa. „Ich würde gerne mitfahren“, sagt Emily. Und dann schaut sie hinaus auf das offene Meer, bis das Schiff als winziger Punkt am Horizont verschwindet. 
Für „Misereor“, 2002