Ivo, 30 Jahre, Behindertenwerkstatt der Caritas
Mostar, Bosnien-Herzegowina

Ich schreibe. Seite um Seite. Stunde um Stunde. Tag für Tag. Außer am Sonntag. Dann haben wir frei. Morgens um neun, wenn mich der Fahrer mit dem Bus abgeholt hat, fange ich an. Nachmittags höre ich auf. Dazwischen esse ich zu Mittag. Wie viele dicke Kladden ich schon vollgeschrieben habe, das zähle ich nicht. Viele jedenfalls. Buchstaben, Wörter, Sätze, Punkte, Kommas, Fragezeichen, alles zeichne ich ab. Ganz gleich um was es geht. Aus der Zeitung, aus dem Anzeigenblättchen oder aus der bunten Illustrierten. Sauber und ordentlich, mit ruhiger Hand, nicht so krakelig wie Ivanna mit ihr Wachsstiften, die immer über den Rand malt.

Manche meinen, meine Abschreiberei sei sinnlos. Aber das ist sie nicht. Jeder in unserer Werkstatt hat seine Aufgabe. Selma bastelt mit bunten Stickern. Mirko malt Bilder. Immer nur Kirchen. Selma und Ivanna machen schöne Grußkarten, andere in der Werkstatt stecken Fotos in Bilderrahmen. Ich bin der Schreiber. Wenn ich abschreibe, dann bin ich zufrieden und glücklich. Und das Schreiben nimmt kein Ende. Ich könnte noch Jahre weiter abschreiben, weil unsere Leiterin Frau Vesna immer für Nachschub sorgt. Und zwei Mal im Monat bekomme ich für meine Arbeit Geld. Zehn Euro. Was will ich mehr?