Was ist drin in den „Paketen“?

Interview mit Britta Claus/DVA

Rolf Bauerdick, Sie sind als Journalist, Sachbuch- und  Romanautor vor allem als Balkanexperte bekannt. In Ihrem neuen Roman kommen Sie uns geografisch näher – „Pakete an Frau Blech“ ist eine deutsch-deutsche Geschichte. Wie ist die zustande gekommen?
Wahrscheinlich aus dem anmaßenden Bedürfnis, dem Guten zum Sieg über das Böse zu verhelfen. Aber ernsthaft, nach
dem Fall der Mauer habe ich viel Zeit in der damals noch existierenden DDR und im postsozialistischen Europa verbracht. Als Journalist und Fotograf lernte ich beeindruckende Menschen kennen, die keine glatten, sondern beschädigte Biografien durchlaufen hatten. Viele waren schikaniert und gedemütigt worden, zerbrochen auch daran, dass sie ihr Leben nicht entfalten konnten. Heute lastet man das Unrecht oft dem DDR-System an, aber es sind immer reale Menschen, die anderen das Leben zur Hölle machen. Im Grunde ist der Konflikt uralt. Auf der eine Seite jene, die einfach nur menschlich leben wollen, auf der anderen Seite die destruktive Macht derer, die zerstören. Diesen Kampf wollte ich erzählerisch ausfechten. Dazu schien mir Idee geeignet, ein dunkles Geheimnis in jene Pakete zu packen, die damals als Ostpakete von den Bundesbürgern an die Verwandten in der DDR geschickt wurden.

Es tauchen viele bekannte Persönlichkeiten im Roman auf: der Agent Markus Wolf, die Schauspielerin Romy Schneider – gab es auch für die fiktiven Figuren reale Vorbilder? Wie viele Tatsachen stecken in der Geschichte?
Viele. Nur oft nicht da, wo man sie vermutet. Ich genieße die schriftstellerische Freiheit, Fakten als Erfindungen und Fiktionen als Fakten erscheinen zu lassen. Das verleiht ernsten Themen eine spielerische Leichtigkeit. Am besten funktioniert dieses Spiel, wenn die Grenzen zwischen historischen Tatsachen und literarischer Phantasie verschwimmen, so dass man sich fragt: War das wirklich so?

Apropos Spiel. Ein wichtiger Handlungsstrang des Romans führt in die Zirkuswelt. Sie geben erstaunliche Einblicke in die Arbeit hinter den Kulissen – woher haben Sie dieses ganze Wissen?
Das verdanke ich dem Russischen Staatszirkus und der  wunderbaren Albina Zotova. Sie verfügte über die Gabe, andere zum Staunen zu bringen. Nach einem schweren Reitunfall als Artistin trat sie in der Manege als Illusionskünstlerin auf und gewann sogar den Goldenen Clown in Monte Carlo. Ich habe sie mit ihrem Mann und deren Tochter Albina junior vor vielen Jahren begleitet und dabei einiges über die Kunst gelernt, wie man Seifenblasen der Illusion erschafft und wieder platzen lässt.
  

Der Roman strahlt viel Sympathie für die Menschen im Sozialismus aus, denkt man zum Beispiel an Figuren wie den Jugendbetreuer Artur Kretschmer, der noch im Alter an das Gute, an Recht und Gerechtigkeit glaubt. Sie selbst sind im Westen aufgewachsen – wie schreibt man da einen Roman, der zu großen Teilen in der ehemaligen DDR spielt?
Ob im Westen oder Osten, die elementaren Fragen von Menschen sind gleich. Die Sehnsucht nach einem gelungenen Leben, nach Freundschaft, Liebe und Sinn, aber eben auch die bitteren Erfahrungen von Ohnmacht, Gehässigkeit und Verrat. Die Freiheit, zwischen gut und böse entscheiden zu können, ist ja nicht an geografische Grenzen und politische Systeme gebunden. Natürlich habe ich lange recherchiert. Außerdem habe ich meine katholische Kindheit und Jugend in einem Dorf im Sauerland halbwegs unbeschadet überstanden und die Theologie des Jesuiten Karl Rahner studiert. Wer das hinter sich hat, ist universell gerüstet, sich in jede Mentalität hineinzuversetzen.

„Pakete an Frau Blech“ ist die Geschichte einer Spurensuche. Es geht um die Aufdeckung eines Rätsels, die Figuren werden zu Detektiven. Dafür müssen erzähltechnisch viele verschiedene Bälle in der Luft gehalten werden, Hinweise gestreut  und im richtigen Moment aufgedeckt werden – gab es in dieser Hinsicht Vorbilder für Sie? Lesen Sie gerne Kriminalgeschichten?
Bisweilen verschlinge ich auch einen Krimi, aber nur selten bleibt etwas haften. Lieber lese ich Geschichten, in denen die Spannung aus dem souveränen Umgang des Autors mit Zeichen und Spuren erwächst, die ja sehr trügerisch sein können. Donna Tartt und Umberto Eco sind solche Autoren. Weil sie Zeichen zu setzen, Symbole zu deuten und falsche Spuren zu legen verstehen. Wie schon in meinem Roman „Wie die Madonna auf dem Mond kam“ möchte ich den Leser mitnehmen in ein Labyrinth, um in der dunklen Nacht einem roten Faden zu folgen, an dessen Ende ein Licht leuchtet – wenn die Pakete an Frau Blech schließlich aufgeschnürt und ausgepackt sind.

Heißt das, Ihre Geschichten sollten am Ende gut ausgehen?
Unbedingt. Schließlich bin ich Katholik. So wie die Romanfigur der Zirkuskapellmeister Szymbo. Auch er muss glauben, dass beim Jüngsten Gericht das Gute über das Böse triumphiert. Aber vorher sollte dem Leser schon ein wenig der teuflische Schwefelgeruch in die Nase steigen, aus jener Hölle, die Menschen einander zu Lebzeiten bereiten.